McLeod Bovell hat mit dem Liminal Haus in West Vancouver nicht nur ein Einfamilienhaus geschaffen. Es entstand ein Symbol dafür, weder hier noch dort zu sein. Ein Symbol, ganz entgegen der traditionellen Vorstellung von Wohnen und seiner Architektur.
In der Regel versteht man Wohnen überall auf der Welt als ein Niederlassen, als einen statischen, bleibenden Zustand. Hat man sich dazu entschieden, sein Zuhause nach den eigenen Vorstellungen zu errichten, drückt sich dieses Bleiben, das Verweilenwollen üblicherweise in der Architektur aus. Man baut sein Zuhause als etwas Beständiges, als einen langfristigen Rückzugsort. Man richtet sich darauf ein, hier sein Leben zu verbringen.
Das Liminal House in West Vancouver in der kanadischen Provinz British Columbia ist anders. Hier hat das ortsansässige Architekturbüro McLeod Bovell ein Eigenheim entworfen, dessen Designidee sich bereits im Namen manifestiert: „Liminal“ drückt aus, dass sich das Projekt quasi in einem Schwellenzustand befindet, dass es „das Gefühl vermittelt, nur vorübergehend an diesem Ort zu leben“, wie man bei McLeod Bovell erklärt.
Raum des Übergangs
Die Kunden hatten das Studio in einer Phase ihres Lebens beauftragt, als sie damit konfrontiert wurden, bald sogenannte Empty-Nester zu werden. Sprich: Ihre Kinder sind kurz davor, auszuziehen. „Die sich verändernden Bedürfnisse der Familie waren für uns der Anstoß, ein Haus zu kreieren, das den Zustand des Übergangs auf konzeptioneller Ebene verkörpert und Erfahrungen mit einfließen lässt“, so die Architekten. Man wollte den Gedanken „des Verweilens in den Momenten zwischen von und zu“ architektonisch umsetzen.
Errichtet wurde das Liminal House in einem vorstädtischen Wohnviertel an der steinigen Küste des Burrard Inlet, einem Fjord, der West Vancouver von der eigentlichen Stadt trennt. Auch der Standort symbolisiert den Prozess des Übergangs in mehrfacher Hinsicht; zwischen der Metropole und den bewaldeten Bergen gelegen, ist das Haus mit den ständigen Veränderungen des Meeres konfrontiert, je nach Gezeiten, Wind und Jahreszeit. Baumstämme, Seetang, Muscheln, Sand, Steine, Meerestiere … kommen und gehen, kein Tag ist wie der andere.
Auf über 1.000 Quadratmeter entstand hier ein Gebäude, das auf traditionelle Vorstellungen von Höhe und Design verzichtet. Stattdessen entschied man sich für einen immersiven Ansatz, der zur Erkundung einlädt. Innenhöfe, auskragende Volumen und integrierte Landschaftselemente lassen die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen. Die Bewohner werden dadurch animiert, in die Liminalität des Hauses, also in einen Raum des Übergangs, einzutauchen.
Schicht für Schicht
Das Einfamilienhaus umfasst drei Ebenen, einen Pool sowie eine 200 Quadratmeter große Dachterrasse. Die Struktur errichtete man aus Sichtbeton, Aluminiumelemente und Glasfronten ergänzen das brutalistische Äußere. Innen liegt der Fokus neben Böden aus gesintertem Stein auf schwarzgebeiztem Acoya an Decken und Wänden. Dabei handelt es sich um Monterey-Kiefernholz, das mittels Essigsäure modifiziert und so haltbarer sowie widerstandsfähiger wird. Zudem heizt Acoya deutlich weniger auf als herkömmliches Holz und sorgt so für natürliches Klima im Inneren.
Zwischen Meer und Wohngebiet. Die Liminalität drückt sich unter anderem im Standort des Projekts aus.
Im Liminal House hat jede Ebene eine wesentliche Funktion. Das Obergeschoss beherbergt die Schlafzimmer der vierköpfigen Familie mit jeweils einem eigenen Badezimmer sowie ein Gästezimmer samt dazugehöriger Terrasse. Das raumhohe Fenster im Schlafbereich der Eltern bietet einen barrierefreien Ausblick auf den Burrard Inlet, auf Vancouver und die University Endowment Lands auf der gegenüberliegenden Uferseite. Rundum verläuft mit einer weiten Auskragung Richtung Meer der obere, von allen Seiten begehbare Garten.
Ein Stockwerk darunter befinden sich Küche, Ess- und Wohnbereich – schwebender Kamin inklusive. Eine vom Boden bis zur Decke reichende Glaswand gibt Ausblick auf eine überdachte Terrasse und den Infinity Pool. Eine Holztreppe und ein (unter anderem mit einem Baum bepflanzter) Innenhofgarten trennen die öffentlichen Bereiche von der Garage. Diese erstreckt sich bis ins Untergeschoss und spielt – wie ihre Größe bereits erahnen lässt – eine wesentliche Rolle im Projekt.
Unter den beiden oberen Geschossen schließt die Garage an einen Auto-Schauraum. Der Besitzer liebt alte Fahrzeuge und so wurde im Design des Liminal House viel Wert auf ausreichend Platz für die Sammlung des Kunden gelegt. Ebenfalls im Untergeschoss findet man einen Erholungsraum, ein Spa, die Sauna sowie ein weiteres Gästezimmer. Auf dieser Ebene wurde unterhalb des Pools ein zweiter Garten angelegt.
Natürlich symbolisch
Lichtschächte durchziehen das Haus, wobei der zentrale Schacht natürliches Licht bis tief in das Untergeschoss dringen lässt. „Natürlich“ ist auch das Wort, auf dem das gesamte Projekt beruht. Acoya ist biologisch abbaubar, recycelbar und klimaneutral. Für die verglasten Flächen wurde mit hochwertigem Wärmedämmglas mit einer Low-E-Beschichtung zur Reduzierung von Wärmeverlusten gearbeitet. VOC-freiem Lapitec-Sinterstein sowie europäische Eiche für Möbelfronten und Treppe ergänzen die natürlichen Materialen.
Und auch wenn das Design des Hauses das Gefühl erwecken soll, „weder hier noch dort zu sein“, wie McLeod Bovell meint, so ist es unter anderem aufgrund der verwendeten Materialien doch auch ein Symbol der Beständigkeit. Ganz so wie das Meer, an dessen Ufern es liegt. Sich ständig und stetig verändernd. Aber immer schon da, um zu bleiben.
Text: Michi Reichelt
Bilder: Hufton + Crow
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