Rocco Bova, viel gereist, viel gesehen und als Experte der Hospitality-Branche den Menschen sehr nahe. Das hat seinen Blick auf das Wesentlich im Leben geschärft. Im Interview erzählt er uns, wie man heute reist, welche Orte uns mit Sinn erfüllen können und warum es wichtig ist, nicht durch die Welt zu hetzen, sondern seinem eigenen Flow zu folgen.
Was geht Ihnen in diesen Tagen durch den Kopf?
Ich habe erkannt, dass ich mich nicht mehr auf Kleinigkeiten, sondern auf die wichtigen Dinge im Leben konzentrieren sollte. Dingen, die ich nicht ändern kann, schenke ich meine Aufmerksamkeit einfach nicht mehr. Während der Pandemie machten sich plötzlich viele Menschen aufgrund von Problemen Sorgen, über die sie keine Kontrolle hatten. Ich begann, mir in meiner Freizeit Webinare anzuhören. Viele Webinare. Das rettete am Ende meinen Job und die Jobs meines Teams, das immerhin aus knapp 250 Menschen bestand. Aktuell arbeite ich an meinem Herzensprojekt, mit dem ich mir meinen Wunsch zu meinem 50. Geburtstag erfüllte: „My Humble House“. Das Ergebnis soll etwas Außergewöhnliches sein. Etwas, das eine echte Veränderung in der Branche bewirkt.
Was war die wichtigste Erkenntnis in Zeiten wie diesen?
Nie aufgeben und positiv bleiben. Statt negativ zu denken, versuchte ich, Lösungen zu finden, um nicht nur dem Unternehmen, für das ich arbeitete, sondern auch anderen Menschen in meinem Leben so viel wie möglich zu helfen. Manchmal hörte ich nur zu. So habe ich schon viele unglaubliche Menschen kennengelernt und habe, indem ich anderen half, in gewisser Weise auch mir selbst geholfen. Jeder Mensch ist verantwortlich dafür, sich selbst zu helfen. Wenn ich es tun kann, dann kannst du es auch tun.
Was müssen Hoteliers tun, um sich selbst zu helfen? Welchen Rat würden Sie ihnen geben?
In Europa hatten Hoteliers während der Pandemie Glück. Sie bekamen Unterstützung vom Staat in Form von Steuergeldern, Krediten und vielem mehr. In Mexiko hat die Regierung nicht viel getan, um Privatunternehmen zu helfen. Stattdessen wurde alles schnell wieder aufgesperrt, damit das Leben so rasch wie möglich wieder normal weitergehen konnte.
Meinen Kolleginnen und Kollegen empfehle ich, fokussiert zu bleiben und gemeinsam mit ihren Teams Lösungen zu suchen, von denen alle profitieren. Viele Mitarbeitende haben großartige Ideen und kennen ihre Jobs besser als jeder Manager. Es ist wichtig, jeden möglichen Weg zu nutzen, um das Geschäft am Laufen zu halten. Und einen Traum darf man nie aufgeben.
Glauben Sie, dass Erfolg in der Branche neu definiert werden muss?
Was wir neu definieren müssen, ist Profit. Wir sollten uns nicht mehr fragen, was für ein Unternehmen, sondern was für alle im Unternehmen profitabel sein könnte. Meine Familie hatte keinen großen Reichtum, aber ein großes Herz. Ich wuchs mit wichtigen Werten auf. Im Unternehmen wird aber in Profiten und Verlusten gedacht. Warum glauben Menschen, die bereits gut leben, noch mehr verdienen zu müssen? Warum machen sie nicht genauso weiter und teilen den Rest mit anderen? In meinem letzten Job habe ich eine Servicegebühr von 10 % für mein Team auf die Rechnung im Hotel eingeführt. Dafür musste das Personal lediglich sicherstellen, dass das Service immer großartig war und die Erwartungen der Gäste übertraf. In der Hochsaison verdoppelten viele so ihr Gehalt. Das Unternehmen wuchs und die Teammitglieder verdienten mehr. Beispiele wie dieses zeigen, dass, wenn man gut zum Team ist, auch die Profite steigen – jedes noch so kleine Extra kann herausragende Ergebnisse bringen.
Was hat Sie zu einer Karriere in der Hospitality-Branche inspiriert?
Als ich 13 Jahre alt war, forderte meine Mutter mich dazu auf, mir einen Job zu suchen. Meinen ersten hatte ich nur drei Tage lang, da ich viele Gläser zerbrach und nicht wusste, wie man ein Tablett richtig trägt. Der Besitzer bezahlte mich für die drei Tage und sagte mir, ich soll zurückkommen, wenn ich weiß, wie man ein Tablett hält. Die Kosten, die ich verursachte, waren höher als mein Gehalt. Als ich an dem Tag nach Hause ging, nahm ich mir fest vor, wiederzukommen. Ich wusste, ich konnte es schaffen. Im Sommer darauf arbeitete ich einen Monat lang an einem anderen Standort und im Jahr darauf blieb ich zwei Monate. Als mich ein Kollege fragte, was ich in meinem Leben machen möchte, antwortete ich, dass ich um die Welt reisen will. Er lud mich nach London ein und ich buchte ein One-Way-Ticket. Danach arbeitete ich im Nachtclub eines ägyptischen Hotels, kam wieder nach London und trat anschließend meinen ersten Job in Dubai an. Dann Singapur, Kuala Lumpur, Indien, der Oman, Mauritius, die Dominikanische Republik und schließlich verschlug es mich nach Mexiko, wo ich heute lebe.
Das klingt hektisch. Wie entschleunigen Sie Ihren Alltag – privat und beruflich?
Wenn man nicht mit dem eigenen Flow geht, macht man vielleicht etwas, wofür man noch nicht bereit ist. Natürlich lernt man aus Fehlern, aber Reife kommt nicht nur daher, dass man Fehler macht. Reife entsteht aus einem täglichen Lernprozess. Wenn ich heute etwas sage, hören mir die Leute zu, weil ich weiß, wovon ich rede.
Lassen Sie uns über Trends in der Branche sprechen. Was erwartet uns?
Nun, ich habe keine Kristallkugel zuhause. Was ich hoffe, dass sich ändert, ist die Art, wie wir reisen. Viele Menschen berichten, dass sie schon in 120 Ländern waren, aber sie wissen nichts über sie. Wir sollten reisen, um etwas zu lernen und zu entdecken, nicht um eine Liste abzuarbeiten. Vielleicht verreisen wir in Zukunft noch öfter allein. Was ich nicht verstehe ist, warum wir riesige Hotels mit 3.000 Zimmern bauen müssen? Das würde ich in Zukunft gerne ändern. Ich möchte aus Menschen Reisende machen, und nicht nur Touristen, die ausschließlich Fotos als Souvenirs mit nach Hause nehmen. Ich möchte das zugrundeliegende Geschäftsmodell verändern. Ich hoffe, dass die nachkommenden Generationen eine andere Einstellung haben. Dass sie nicht habgierig sind und immer mehr verdienen wollen, sondern sich verbessern und eine zirkuläre Wirtschaft erschaffen möchten.
Sie haben Alleinreisende erwähnt: In den letzten Jahren verreisen immer mehr Menschen allein, um neue Leute kennenzulernen. Hat sich die Branche auf ihre Bedürfnisse eingestellt?
Der Markt für Alleinreisende ist heute viel spezifischer. Mir ist auch aufgefallen, dass es öfter Frauen als Männer sind, die allein verreisen. Hotels müssen daher auf die Bedürfnisse von Frauen gezielter eingehen. Es braucht ein Gefühl von Sicherheit, einen Kontakt, der rund um die Uhr erreichbar ist und ein Zimmer, das nicht zu weit abgelegen ist. Hoteliers müssen dafür sorgen, dass sich Frauen willkommen und sicher fühlen, was viele bereits sehr gut machen, aber es braucht auch speziell geschaffene Angebote und Erlebnisse.
Eine weitere Veränderung in der Art, wie wir reisen, ist der Wandel von Kurztrips hin zu sinnorientierten Reisen?
Korrekt. Es geht dabei oft auch um das Erleben von mentalem Wohlbefinden. Um Reisen, die die Kraft haben einen zu verändern. Über Transformationen findet man einen neuen Blick aufs Leben. Auch das Arbeiten an anderen Orten wird immer populärer. Away-Office statt Home-Office, sozusagen. Einige Hotels machen aus ihren Gemeinschaftsbereichen bereits Workspaces für arbeitende Reisende.
Zum Abschluss: Welche Reise steht bei Ihnen als nächstes am Programm?
Ich fahre demnächst nach Hausen nach Italien, um meine Familie zu besuchen. Dieses Mal bleibe ich ein wenig länger, da ich seit drei Jahren keinen echten Urlaub mehr gemacht habe. Danach habe ich mir vorgenommen einmal im Monat in Mexiko verreisen, um das Land richtig kennenzulernen. Ich folge also meinem eigenen Ratschlag und verreise sinnorientiert.
Über Rocco Bova
Rocco Bova stammt aus Italien und ist seit 25 Jahren überall auf der Welt zuhause. Der passionierte Hospitality-Experte war seit 1995 in 11 Ländern tätig: von Europa zog es ihn in den Nahen Osten, nach Asien, Afrika und schließlich vor mehr als 5 Jahren nach Mexiko, wo er im Moment lebt und an seinem Projekt „My Humble House“ arbeitet.
Foto Credits: Nathalie Afonso Inacio / Unsplash
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