perfume for peace, Text: Helder Suffenplan
Anduften gegen den Klima Wandel, mehr frauenrechte dank mehr Eau de Toilette, sprühen für den Weltfrieden? Das mag vermessen klingen, aber tatsächlich gibt es viele Beispiele dafür, wie sich auch die Parfum Branche bemüht, einen Beitrag zu einer besseren und lebenswerteren Welt zu leisten.
Wie in der Mode- oder der Filmbranche auch, gibt es unzählige Charity-Aktionen, bei denen zum Beispiel Parfum-Onlineshops einen Teil des Kaufbetrags an karitative Organisationen spenden oder Celebrities das Thema Parfum für die Unterstützung von Hilfsorganisationen nutzen. So reichte Angelina Jolie 2017 ihre Gage aus der Guerlain-Kampagne für Mon Guerlain (geschätzte 10 Mio. Dollar) an eine NGO weiter. Aber es gibt auch Projekte, die aus den spezifischen Strukturen und Mentalitäten der Parfumbranche hervorgehen und deshalb nur dort zu finden sind.
Hier sind einige der spannendsten:
Das Londoner Dufthaus Jo Malone lässt sich seit 1990 von der Schönheit der britischen Flora zu Parfums mit bestrickend einfachen Namen wie English Pear & Freesia oder Poppy & Barley inspirieren. Aus diesem Selbstverständnis ist ein Projekt entstanden, das acht sogenannte Charity Gardens ermöglichte, in denen seelisch Kranke in Kontakt mit der Natur treten, um mit ihren Beeinträchtigungen besser umgehen zu können.
Das Underground-Label Atelier PMP aus Hamburg macht gleich die Düfte selbst zu Botschaftern einer besseren Welt: Der Duft Geschöpf wendet sich gegen Diskriminierung und deklariert das Recht jedes Menschen, sich selbst neu zu erfinden und so zu seinem oder ihrem eigenen Geschöpf zu werden. Die Kreation antianti möchte uns über die Nase zu positivem Denken verführen und dazu, sich aktiv für das Gute einzusetzen, anstatt immer nur gegen etwas zu sein.
Mit etwa 50 Mrd. Dollar Jahresumsatz ist die Parfumbranche allerdings mehr als eine schöngeistige Nische. Sie ist eine globale Industrie mit Forschungszentren, Produktionsstätten und Distributionsketten. Die Art und Weise, wie die großen und kleinen Marken ihre Produkte herstellen, verpacken und versenden, entscheidet mit, ob drängende Themen wie Ressourcenverbrauch, Erderwärmung und globale Gerechtigkeit angegangen werden.
Hierzu muss man wissen, dass der aller größte Teil der in einer Parfumerie angebotenen Düfte von einem der fünf großen sogenannten Riechhersteller stammt. Auf der Flasche mag der Name eines fancy Fashion Labels prangen, kreiert und produziert wurde der Inhalt aber sehr wahrscheinlich von Unternehmen wie IFF, Firmenich, Givaudan, Symrise oder Takasago. Allerdings nach dem kreativen Briefing der Marken – es ist also durchaus Armani drin, wo Armani draufsteht.
Die meisten dieser Dufthersteller haben Ihre Verantwortung für die Zukunft erkannt – im Vergleich mit anderen Branchen vielleicht sogar in beispielhafter Konsequenz.
So will das Genfer Familienunternehmen Firmenich bis 2025 klimaneutral werden, bis 2030 sogar klimapositiv, also mehr CO2 aus der Atmosphäre entnehmen, als ausstoßen.
Auch Wettbewerber Givaudan bemüht sich um Umweltschutz und soziale Verantwortung. So unterstützt die firmeneigene Stiftung in Haiti Vetiver-Produzenten dabei, die Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung in den umliegenden Dörfern zu verbessern. Da Vetiver eine meiner Lieblingsduftnoten ist, freue ich mich hierüber ganz besonders. Es macht einen Duft für mich noch schöner, wenn zumindest ein großer Teil seiner Zutaten unter vertretbaren Bedingungen entsteht.
Die Zeiten, in denen Zibetkatzen und Moschusochsen für wenige Milliliter Duftessenz abgeschlachtet oder seltene Pflanzen fast ausgerottet wurden, damit es viele tausend Kilometer entfernt gut duftet, scheinen vorbei zu sein. Dabei kommt der Natur oft die Chemie zu Hilfe: Zibet und Moschus werden heute chemisch nachgestellt und gerade Rosenessenzen werden in rauen Mengen synthetisiert. Laut Schätzungen müsste der gesamte Planet mehrfach mit Rosenfeldern bedeckt sein, wollten wir unseren Appetit auf Rosen-aroma komplett aus natürlichen Quellen decken oder: stillen. Das wäre sicherlich ein schöner Anblick, auf Dauer aber doch wohl etwas eintönig und auch nicht gerade ein Beitrag zur Biodiversität.
Ein Bereich, in dem die Marken selbst ihre Hausaufgaben machen müssen, ist die Verpackung von Parfum. Der Materialaufwand steht meist in keinem Verhältnis zu Menge und Flüchtigkeit des Inhalts. Die Boxen haben das vielfache Volumen der Flakons und sind gefüllt mit Einlagen aus Kunststoffschaum. Das Ganze wird dann in Folie verschweißt, damit kein Staubkorn die aufwändig laminierten Oberflächen trübt.
Diese Definition von Luxus ist sehr gestrig und muss aufhören! Wenn wir als Konsumenten darauf achten, möglichst nur faire, nachhaltige Produkte ohne zu viel Verpackung zu erwerben, können wir hier viel bewegen.
Smells of success
Mein Lieblingsbeispiel dafür, wie Geruch – oder seine Abwesenheit – die Welt verbessern kann, kommt zum Schluss. Zusammen mit der Bill & Melinda Gates Foundation hat Firmenich in Indien ein Projekt umgesetzt, das Menschen vor schweren Infektionskrankheiten schützen soll.
Das Problem: Wenn man keine eigene Toilette hat und die öffentlichen Anlagen so stinken, dass man sein Geschäft lieber irgendwo im Freien verrichtet, gelangen Erreger ins Trinkwasser und verursachen schwere Krankheiten wie Typhus oder Cholera. Die Lösung: Dank jahrelanger Grundlagenforschung konnte Firmenich ein Produkt entwickeln, das die Rezeptoren für die übelriechenden Moleküle in der Nase blockiert. Die Wahrnehmung des Gestanks verschwand, die Anlagen wurden wieder benutzt und die Infektionsraten gingen zurück.
Doch auch ohne eine milliardenschwere Stiftung kann jeder von uns täglich Gutes tun: Duft erhöht unser persönliches Wohlbefinden und unsere Zufriedenheit, somit ist jeder Sprühstoß ein Beitrag zum Weltfrieden. Also greift möglichst häufig zur Parfumflasche und fühlt euch gut dabei!
HELDER SUFFENPLAN
ist unabhängiger Publizist und Creative Consultant aus Berlin. Schon seit seiner Kindheit hegt er eine besondere Leidenschaft für Parfums. Mit dem erfolgreichen Start von SCENTURY.com – dem ersten Online-Magazin für Perfume Storytelling – im Jahr 2013 wurde Helder zur anerkannten Persönlichkeit in der globalen Welt der Düfte. Er war Jurymitglied u. a. für The Art & Olfaction in Los Angeles oder dem Prix International du Parfumeur- Créateur, Paris. Als Autor verbindet er sein Lieblingsthema Parfum mit vielfältigen Bereichen wie zeitgenössischer Kunst, Popkultur, Literatur, Film und Geopolitik.
Foto: Holger Homann
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