Özlem Tuna, Istanbul: Träume aus Schlamm und Teig // DESIGN

Özlem Tuna Özlem Tuna. Foto: Serhat Özşen

Özlem Tuna, Text: Nina Prehofer

Özlem Tuna ist Designerin in Istanbul. Dort lässt sie sich von der Stadt, dem Handwerk, den Materialien, dem Leben auf der historischen Halbinsel und dem Treiben auf dem Grand Bazaar inspirieren. Begonnen aber hat alles in ihrem Heimatdorf am Meer in Anatolien. Aus Schlamm und Teig wurden die Träume der Zukunft geformt.

Die 10 wichtigsten Fragen, die sich
die Designerin über ihre Arbeit stellt.

1. Wie erreiche ich, dass Design mich und andere emotional berührt?
2. Sind die Alltagsgegenstände, mit denen wir uns umgeben, wirklich funktional?
3. Welche Bedeutung wohnt diesen Alltagsgegenständen inne?
4. Wie können wir Designprobleme mithilfe von Koch- und Esserfahrungen erkennen?
5. Wie können wir unseren Gefühlen durch gemeinsames Essen und Trinken näherkommen?
6. Ist es möglich, unsere Designs in der Stadt, in der wir leben, auch zu produzieren?
7. Können wir unsere Designs mit regional vorhandenen Materialien umsetzen?
8. Haben wir unseren Produktionsprozess überprüft?
9. Ist der Prozess der Produktion am Menschen orientiert?
10. Wie kann man mit Begeisterung Teil einer neuen Ära sein?

Nur zu gerne hätten wir Özlem Tuna persönlich in Istanbul getroffen, ihr Atelier und ihren Shop besucht, einen Kaffee in ihrem liebsten traditionellen Kaffeehaus, dem Çorlu Ali Paşa Medresesi, getrunken, Handwerkern bei der Arbeit über die Schulter geschaut und Ruhe mit dem Blick auf den Bosporus gefunden. Denn auf ihm bleiben stets auch Özlem Tunas Augen hängen, wenn sie durch Istanbul spaziert.

So wurde es ein Kennenlernen über E-Mails und Zoom – anders schön, denn es war ein Blick aus dem Homeoffice hinaus in das Leben von jemand anderem, mit dem man durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens fast auf der ganzen Welt eine neue Nähe gefunden hat. Es ist der Blick vom Wohnzimmer in Wien in ein wunderschönes Atelier in einer kleinen Straße, in der in normalen Zeiten das Leben spielt.

Özlem Tuna design

Özlem Tuna stammt aus dem Dorf Burhaniye an der Ägäis, südlich von Anatolien. Es war für sie der ideale Ort, um erwachsen zu werden, denn es gab endlose Inspiration für ein „abenteuerlustiges Mädchen“. Umgeben von einem großen Garten und sehr nahe am Meer, liebte sie es, alles zu entdecken.

Ich hatte so viel Glück, dass ich in einer wunderschönen Bucht am Meer mit Olivenhainen aufgewachsen bin.

Özlem Tuna ist überzeugt, dass wir in unserer Kindheit unsere Lebensbalance finden und Herkunft und Wurzeln sehr wichtig dafür sind, welche Person wir im Laufe unserer Lebensreise werden. Sie spielte mit Schlamm im Garten und erschuf daraus erstaunliche Schlammkuchenkreationen. Das war wohl das erste Zeichen für die spätere Liebe zur Herstellung von Gefäßen aus Ton. Die Beziehung zu ihrem Vater prägte sie.

„Ich hatte immer eine wundervolle Beziehung zu meinem Vater. Er war Kunstlehrer und als er in Pension ging, führte ihn sein Weg zurück an die Universität, gleichzeitig mit mir. Er studierte Archäologie und schrieb neun Bücher in 15 Jahren. Er war wahnsinnig fleißig und sehr diszipliniert bei der Arbeit. Er war immer so begeistert von unserer Kultur und wenn ich zurückblicke, war es so ein Glück, ihn als Vater gehabt zu haben, denn ich habe wahnsinnig viel von ihm gelernt. Seit zehn Jahren ist er nicht mehr unter uns, aber er ist immer noch meine größte Inspiration und mein größter Held.“

Özlem Tuna design

Vom Kochen und Produktdesign

Nach dem Abschluss einer Schule mit dem Schwerpunkt Kulinarik und Kochen wurde Özlem Tuna von ihrem Vater ermutigt, die Kunstuniversität zu besuchen und dort Keramik zu studieren. Das erste Objekt, das sie anfertigte, war eine kleine Vase. Dafür benutzte sie kein Werkzeug, sondern nahm nur die Hände zu Hilfe, um sie zu formen. Ebenso einprägsam ist ihr die Erinnerung, als sie als Studentin ihr Brot zu Hause selbst machte und wie sie damit experimentierte, verschiedene Hefebakterien zu kultivieren.

Ich benutze immer gerne meine Hände, um etwas zu erschaffen. Ton ist für mich nach wie vor ein gutes Material, um meine Gedanken zu erklären.

Ihre Erfahrungen mit dem Kochen und in der Küche haben ihr geholfen, Designerin zu werden.

Für mich sind Kochen und Produktdesign die gleichen Dinge.

Ihren ersten Job nach Abschluss der Uni fand sie als Schmuckdesignerin auf der historischen Halbinsel. In der Türkei Designerin zu sein, ist heute normal. Vor 20 Jahren, als Özlem Tuna begann, war es jedoch etwas schwierig, als Frau im Schmuckviertel der historischen Halbinsel zu arbeiten. Es war sehr traditionell und der Weg zum Meister führte über viele Lehrjahre, die alle dort zu absolvieren waren. Männer lernten gesamte Prozesse und arbeiteten als geschlossene Gruppe, Frauen gab es kaum.

„In den 90er-Jahren, als ich an der Universität meinen Abschluss machte, begannen vor allem Frauen, als Designerin tätig zu sein. Es war schwierig für die Metallmeister, Anweisungen von den Designerinnen entgegenzunehmen. Die Anfänge waren nicht leicht, aber mit der Zeit haben wir viel voneinander gelernt. Und das ist sehr wertvoll.“

Özlem Tuna design

2003 gründete Özlem Tuna ihr eigenes Marken- und Designstudio auf der historischen Halbinsel. Für sie ist es der beste Ort für Design und Produktion. Gearbeitet wird mit traditionellen Methoden, kombiniert mit moderner Technologie. Dort liegt für sie das Herz des historischen Zentrums von Istanbul, das mit seinen Ateliers einen wundervollen Reichtum bietet. Seit damals ist sie erfolgreich mit ihren eigenen Produktlinien, aber auch mit ihrem Studio für viele große wie kleine, internationale wie nationale Unternehmen. Das schlichte, aber kraftvolle Design, gepaart mit dem perfekt ausgeführten Handwerk, machen Özlem Tunas Arbeiten zu begehrten Objekten, die bis nach New York bekannt und bei Bloomingdale´s erhältlich sind.

Özlem Tuna

Ihre Materialien sind Porzellan und Keramik, Holz, Stoff, Glas, Messing, Kupfer und Stahl sowie Gold, Silber und Edel- und Halbedelsteine. Ihre Kollektionen tragen Namen wie Mosaic, Sage oder Credo Istanbul. Wenn sie sich ein Objekt aussuchen müsste, würde sie eine Kaffeetasse wählen.

Schon als kleines Kind liebte ich Kaffee. Wir durften noch keinen Kaffee trinken, aber ich habe heimlich Kaffeebohnen stibitzt und gekaut.

Diese Liebe drückt sie seit vielen Jahren in unglaublich feinen und eleganten Tassen und Bechern aus Porzellan aus.


SERIE „SAGE“

Inspiriert von den Blättern des Salbeis ist diese handgemachte Porzellanserie. Durch die spezielle matte Glasur entsteht eine einzigartige Farbskala, die sich zwischen verschiedenen Grautönen, Weiß-, Rosa- und Grüntonen abspielt. Das Farbspiel ist bei jedem Stück einmalig. Das goldene Dekor, das auf die Glasur aufgetragen wird, fließt fast mystisch über die Schalen, Tassen und Becher.


Dunstige Träume der jüngsten Zeit

In den letzten zehn Jahren hat sich die Designerin sehr mit dem Klimawandel befasst.

„Wir müssen uns um unsere Natur kümmern. Für mich zählen neben verantwortungsbewusster Ernährung und Konsum auch die Abwicklung des Produktionsprozesses. Die Natur und der Mensch stehen im Mittelpunkt.

Auf die Frage, ob sie diesbezüglich optimistisch für die Zukunft ist, antwortet sie:

Ich lebe heute und kann etwas entwerfen, das mir und meiner Umwelt zugutekommt. Das ist wertvoll und reicht zunächst aus, um optimistisch zu sein.


Özlem Tuna über ihre Serie “MOSAIC”

Mosaic Serie

Wir definieren ein Mosaik als ein Bild aus verschiedenfarbigen Partikeln, die auf einer Oberfläche liegen. Mosaike werden traditionell aus Materialien wie Naturstein, Metall, Glas, Keramik und Porzellan hergestellt. Was ist dann das Mosaik, das wir mit unserem Leben schaffen? Können wir sehen, wie das Mosaik durch unsere Gedanken, unsere Handlungen, unsere Entwürfe und die Art und Weise, wie wir unser Leben leben, entsteht? Wir kreieren unsere Mosaike mit unseren Designs für Dinge, die wir produzieren. Wir würden uns freuen, wenn unsere Mosaike zeitlos sind und viele Jahre verwendet werden.


Und wovon träumt sie?

„Davon, wieder in die Küche zu gehen, denn als Designerin liebe ich es, meine Werkzeuge zu wechseln.“

Allerdings nicht im Restaurant, sondern viel mehr interessiert sie die Aktion beim Essen. Was sind die emotionalen, sozialen und kulturellen Auswirkungen auf unser Leben? Sie räumt ein, dass das in diesen Zeiten „dunstige“ Träume sind, denn wer weiß schon, wann und in welcher Form wir unsere Träume wieder wirklich ausleben können?

Abschließen möchte Özlem Tuna mit einem Zitat von Vivienne Westwood, die sagte:

„Es ist meine Pflicht, zu verstehen. Die Welt zu verstehen. Das ist unser Preis für das Glück, am Leben zu sein. Die Kunst unserer Vorfahren eröffnet uns die Möglichkeit, die Welt aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten – das ist die wahre Bedeutung von Kultur –, und dadurch können wir die Vision einer besseren Welt entwerfen. Einer Welt, die besser ist als die, in der wir leben, und die wir veranstaltet haben. Wir können unsere Zukunft beeinflussen. Der beständige Versuch, seiner Vision näher zu kommen und die Reflexion darüber verändert unser Leben. Und indem man sein Leben verändert, wird man die Welt verändern.“

Özlem Tuna

Fotos: Serhat Özşen


Özlem Tuna’s 8 Hot Spots in Istanbul

1. Das traditionelle Kaffeehaus „Çorlu Ali Paşa Medresesi“ (Mollafenari, Yeniçeriler Cd. No:38, 34120 Fatih/İstanbul).
2. Die Buchhandlung „Patika Kitabevi“ (Abdi İpekçi Caddesi, Milli Reasürans Çarşısı 43-57 G Blok, D:39 Teşvikiye, 34365 Şişli/İstanbul, @patikakitabevi).
3. Zwischen Bebek and Ortaköy am Bosporus entlang spazieren.
4. Den Gülhane Park besuchen (Cankurtaran, Kennedy Cd., 34122 Fatih/İstanbul)
5. Alles um den Grand Bazaar.
6. Karaköy, der Fischmarkt und Szeneviertel mit vielen Bars.
7. Feribot, zwischen Asien und Europa.
8. Kadıköy, der Fischmarkt und die vielen umliegenden Restaurants.

ozlemtuna.com