Was genau „Noom“ bedeutet? Das verraten Sanzpont [arquitectura] und Pedrajo + Pedrajo Arquitectos zwar nicht. Aber ihr Konzept „Living the Noom“ macht ohnehin deutlich, was dahintersteckt: Wohnen, neu gedacht. Mit Umweltschutz und Lebensqualität als höchstem Ziel.
Betrachtet man ihr Werk, steht sofort außer Frage, was den Brüdern Victor und Sergio Sanz Pont am Herzen liegt: Nachhaltigkeit und Lebensqualität im Einklang mit der Natur. Prioritäten, die essenzieller sind denn je. Und eine Philosophie, die dem 2004 in Barcelona gegründeten Architekturbüro Sanzpont Erfolg beschert. Inzwischen mehrfach ausgezeichnet, verfügt das Studio heute auch über Niederlassungen im mexikanischen Cancún und in der US-Metropole Chicago. Ein aktuelles Projekt demonstriert einmal mehr, was die beiden Visionäre wollen – und können: Die Wohnanlage „Living the Noom“ macht ungeheure Lust auf nachhaltiges, naturverbundenes Leben.
Das gemeinsam mit Pedrajo + Pedrajo Arquitectos designte Werk wirkt aufs Erste wie ein Ferienresort der Extraklasse. Ist es aber nicht. Obwohl die Bilder zum Entwurf vorzüglich in Hochglanz-Reisekataloge fürs begehrte Reiseziel Cancún an Mexikos Küste passen würden. Denn was man sieht, lässt zu allererst an Wellness, Erholung und Naturgenuss denken. Das passt auch absolut – wenn auch auf andere Art: „Living the Noom“ soll nämlich all dies bieten. Nur eben nicht bloß im Urlaub, sondern auf Dauer. Als Zuhause, das gesunde Lebensweise fördert, ohne die Umwelt zu belasten.
„Noom ist ein Refugium. Ein organisches und visionäres Konzept, das auf Wellness abzielt“, heißt es in der Projektbeschreibung. Und: „Es schafft etwas außergewöhnlich Radikales. Es ist die Entwicklung eines natürlicheren Lebensstils. Ein Zufluchtsort für bewusstes Leben“.
Zehn Aspekte für gesundes Wohnen
Ein gesundes Zuhause müsse nach vielfältigen Aspekten gestaltet werden, sind die Architekten überzeugt. Ihrer Ansicht nach lassen sich diese in zehn Haupt-Themen zusammenfassen: Luft, Wasser, Ernährung, Licht, Bewegung, Wärmekomfort, Schall, Materialien, Geist und Gemeinschaft. Und was speziell den wichtigen Faktor „Wellness“ betrifft, gehen die „Living the Noom“-Designer noch einmal extra ins Detail. Unter anderem mit Vorgaben wie Haustierfreundlichkeit, Fitness-Angebot und Kunstgenuss.
Grundgedanken, die Sanzpont und Pedrajo + Pedrajo mit dem Design der Wohnanlage „Living the Noom“ bestmöglich architektonisch umsetzen. Das Projekt umfasst drei vierstöckige Häuser, von denen jedes über einen eigenen Dachgarten verfügt. Die Gebäude bestehen aus einer Betonstruktur und einer unabhängigen, bepflanzten Bambusfassade.
Vorrang für flexible Gestaltung
Jede Etage ist ein offener Raum, für den verschiedene Konfigurationen entworfen werden können. Denn wer eine Wohnung bezieht, soll sie ganz nach seinen Vorstellungen gestalten können. Deshalb verlaufen etwa auch alle Haustechnik-Systeme zwischen der Außenwand und der bepflanzten Bambus-Außenhaut.
Die Wohnungen sind 120 und 60 Quadratmeter groß und haben ein bis drei Schlafzimmer. In allen Innenräumen ist für natürliches Licht gesorgt. Wärmedämmung und natürliche Belüftung sind Fixpunkte des Konzepts. Alle Einheiten haben Zugang zu den urbanen Gärten auf den Dächern. Dort können die Bewohner selbst nach Herzenslust eigene Lebensmittel anbauen. Zudem dienen die Freiflächen als Erholungszonen und Raum für entspannte Sozialkontakte.
Achtsame Flächennutzung
Das Projekt wurde für ein 2.046 Quadratmeter großes Grundstück entworfen. Allerdings beanspruchen die Bauten nur 30 Prozent dieser Fläche, wodurch ein Großteil der vorhandenen Vegetation erhalten bleibt. Und damit nicht genug: 2.500 der durch die Gebäude „verbrauchten“ Quadratmeter Boden werden in Form begrünter Dächer und Fassaden „wiederhergestellt“.
Nur logisch, dass das Architektenteam auch auf die Verwendung nachhaltiger, lokaler Materialien setzt. Schon die Errichtung der Anlage soll die Umwelt so gering wie irgend möglich belasten. „Unsere Aufgabe sollte es sein, jeden Ort, an dem wir bauen, zu verbessern. Wir müssen einfach koexistieren und Respekt für die Erde haben“, betonen die „Living the Noom“-Designer.
Wir haben die Pflicht, zusammenzuleben, statt die Umwelt zu zerstören.
Sanzpont arquitectura
Dass Menschen „einfach alles beseitigen und zerstören, um sich anzupassen“, betrachtet Sanzpont als unerträglich. Daraus resultierte auch die Vorgabe, maximal 30 Prozent des Geländes zu beanspruchen: „Wir haben beschlossen, den vorhandenen Baumbestand zu respektieren und mehr Grünfläche zu schaffen, als wir vorgefunden haben. So, dass wir die Gesamtgrünfläche um 130 Prozent vergrößern konnten“.
„Living the Noom“ wurde so designt, dass es auf unterschiedlichen Grundstücken nachgebaut werden kann. Das flexible Konzept kann verschiedene Konfigurationen annehmen, die sich an die jeweiligen Abmessungen anpassen. Und zwar – laut seiner Entwickler – so, dass optimale natürliche Belüftung trotzdem gewährleistet bleibt.
„Living the Noom“ forciert Nachhaltigkeit
Das außergewöhnliche Projekt integriert bioklimatische und nachhaltige Strategien. Dazu zählen etwa Regenwassersammlung und -nutzung, Abwassertrennung und Feuchtgebiete für die Aufbereitung von Grauwasser. Auch Biogas– und Kompostieranlagen sind vorgesehen. Ebenso, wie Vegetationsbedeckung, die eine Barriere gegen Verschmutzung schafft und den Wärmeinseleffekt reduziert.
Mit Hilfe digitaler Simulationen durchgeführte Analysen bestimmen die optimale Platzierung von Sonnenschutzelementen und Sonnenkollektoren. Dadurch lassen sich mit „Living the Noom“, den Architekten zufolge, Energieeinsparungen von 85 Prozent ermöglichen.
Lebensqualität durch Gemeinschaft
Mit objektiv messbaren Vorzügen allein ist es für die Visionäre allerdings nicht getan. Für sie sind Lebensqualität und Nachhaltigkeit Ziele, deren Erreichung vielschichtigerer Maßnahmen bedarf. Und ganzheitlicher Betrachtung.
Was ihr Projekt möglich machen soll, beschreiben die Architekten so: „Wir wollen eine Gemeinschaft schaffen, die den künstlerischen Ausdruck fördert, zu Bewegung, Yoga und Meditation einlädt und jeden Tag zu jeder Zeit mit der Natur lebt. Eine, die gesunde Ernährung fördert und durch haustierfreundliche Räume für alle Familienmitglieder geeignet ist. Und eine, die Menschen zusammenführt, die das Leben mit den gleichen Werten teilen“.
Viele Aspekte, die „Living the Noom“ ausmachen, finden sich auch in aktuellen Projekten anderer vorausdenkender Architekten. Zum Beispiel in Vincent Callebauts Konzept für Aix-les-Bains, das urbane Lebensmittelproduktion fördert. Oder in Powerhouse Companys Anlage „HOLT“, die einen eigenen Wohn-Wald und viel Raum für kommunikatives Zusammensein schafft.
Für Mensch und Natur
Was Sanzpont und Pedrajo + Pedrajos deutlich kleiner dimensioniertes Konzept von Großprojekten wie diesen unterscheidet, ist unter anderem die Möglichkeit, es auch andernorts zu realisieren. Es deckt sich in vielen Facetten mit dem Ziel der Organisation „We the Planet“, die sich als globale Plattform für Maßnahmen engagiert, die allen Lebewesen, der Natur und dem Planeten eine gute Zukunft sichern. Auch deren Projekte, wie etwa der schwimmende Campus, basieren auf dem Vorsatz, der Natur bei Bauvorhaben mindestens ebenso viel Substanz zurückzugeben, wie sie nehmen.
Dass die Idee des innovativen Teams das Potenzial hat, Menschen zu begeistern, beweist eine jüngst verliehene Auszeichnung: „Living the Noom“ errang bei den A + Architizer Awards 2021 sowohl Platz eins in der Jury-Bewertung als auch im „Popular Choice“-Voting. Kategorie: Nicht realisiert / Mehrfamilienhäuser mit weniger als zehn Stockwerken.
Ein Zitat, das sich in der Projektbeschreibung der Architekten findet, dürfte dem Projekt vor allem bei der Allgemeinheit zusätzliche Stimmen eintragen. Denn dort heißt es: „Das Wichtigste bei Immobilienprodukten sollte nicht das Geschäft sein, sondern gleichgesinnte Menschen einander näher zu bringen, um ihre Lebensqualität zu verbessern“.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Ali Garcia, Victor & Sergio Sanz Pont, Jose Miguel Cano, Waldir Hernandez, Ismael Morales, Rodrigo Frias
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