Kolumne by Helder Suffenplan: Die blumigen Parfumbeschreibungen mancher Marken klingen so, als bringe uns jeder Spritzer näher zu Mutter Natur:
Die Kreation ist „inspiriert vom betörenden Duft eines Tuberosenfeldes bei Nacht“ (Matière Première), „fängt die Gefühle eines lebhaften Sommertags ein“ (Penhaligon’s) und ihre „Duftgeschichte vereint Blumen und Wasser, Bäume und Felsen“ (Hermès). Und tatsächlich können Parfums uns mitten in unserem urbanen Alltag ein Gefühl der Naturverbundenheit vermitteln: Natur auf unserer Haut und in unserer Nase, wir als Teil der Natur. Aber was sagt Mutter Natur dazu?
Essenzen und Extrakte aus Blüten, Blättern und Wurzeln, gelöst in reinem Alkohol – wo ist das Problem? Tatsächlich ist jedes Eau de Toilette ein sehr komplexes Produkt, dessen Herstellung viele für das Thema Nachhaltigkeit relevante Aspekte streift: Wasser- und Landverbrauch, Bodenübernutzung, CO2-Ausstoß durch Transport und Produktion, Verbrauch fossiler Ressourcen, Müllverursachung etc.
Das Gemeine ist, dass nicht immer eindeutig ist, welche Lösung die nachhaltige oder die umweltschädliche, also die gute oder die böse Lösung ist. Das Richtige zu tun oder zu kaufen, ist manchmal gar nicht so einfach und man kann sich schnell im Detail verlieren. Aber keine Angst! In dieser Kolumne gibt es ein paar garantiert nachhaltige Empfehlungen.
Beginnen wir mit dem Hauptbestandteil der jährlich neu lancierten 1200 Parfums, dem Ethanol. Bei einer Produktion aus fossilen Rohstoffen ist die CO2-Bilanz deutlich schlechter als beim Rohstoff Biomasse. Betrachtet man den Flächenverbrauch für die Produktion von Mais oder Getreide, wird die Sache plötzlich komplexer: Intakte Biosysteme und Artenvielfalt sind klimarelevant. Und auf Feldern, auf denen Biomasse für Ethanol angebaut wird, werden keine Lebensmittel produziert. Coty (Boss, Gucci, Calvin Klein und andere Duftlizenzen) verwendet bereits in kleinem Umfang CO2-negativen Alkohol, bei dessen Herstellung der Atmosphäre Kohlendioxid entnommen wird. Andere Hersteller wollen folgen. Neuerdings gibt es auch wasserbasierte Parfums, die auf Alkohol verzichten, zum Beispiel von Behnaz Sarafpour und Buly 1803 (mein Sommertipp: Eau Triple Yuzu De Kizo).
Nun zu den Bestandteilen, die den Duft zum Duft machen, den Riechstoffen. „All natural“, „100 % natürliche Inhaltsstoffe“ – das klingt gut, alles richtig gemacht. Aber abgesehen davon, dass es die Parfümeure kreativ sehr einschränkt, wenn sie nur natürliche Riechstoffe verwenden, lohnt auch hier ein zweiter Blick. Naturals sind nicht per se harmlos für Mensch und Umwelt, viele werden mit der Entstehung von Allergien oder sogar Krebs in Verbindung gebracht und daher immer strenger reglementiert. Ihre meist landwirtschaftliche Produktion geht mit enormem Wasser- und Landverbrauch einher: Sollten alle Produkte der Welt, die nach Rose duften, tatsächlich natürliche Rose enthalten, müsste die gesamte Landmasse der Erde mit der Königin der Blumen bepflanzt werden (hat ein schlauer Kopf berechnet). Die oft Dutzenden Inhaltsstoffe eines Dufts müssen aus aller Herren Ländern zusammengeführt werden: Vanille aus Madagaskar, Vetiver aus Haiti, Minze aus den USA. Fast immer reisen sie im mit Öl angetriebenen Containerschiff. Synthetische Moleküle scheinen hier eindeutig die bessere Lösung zu sein.
Synthetische Moleküle verbrauchen kein Land, wenig Wasser und sind meist verträglicher. Aber bei ihrer Herstellung wird wiederum Energie verbraucht und CO2 ausgestoßen. Der weltgrößte Chemiekonzern BASF verbraucht im Jahr so viel Strom wie ganz Dänemark und stellt diesen teils in eigenen Gas-Kraftwerken her. Im Zuge der Elektrifizierung der Produktionsprozesse könnte sich der Strombedarf des Unternehmens bis 2035 sogar noch verdreifachen. Zudem reden wir hier von Petrochemie: Die Basis fast der gesamten modernen chemischen Industrie sind Erdöl und Gas.
Die großen Dufthersteller, die die Parfums für die meisten bekannten Marken kreieren und produzieren, unternehmen inzwischen große Anstrengungen, die Herstellung nachhaltig auszurichten und haben sich selbst strenge Klimaziele gesetzt. DSM-Firmenich etwa verspricht, 2025 klimaneutral und bis 2030 sogar klimapositiv zu sein, also mehr CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen, als auszustoßen. Ziel ist auch, dass bei den Prozessen keinerlei Abfälle entstehen, sondern alle Nebenprodukte Verwendung finden, zum Beispiel das für die Extraktion von Blütenessenzen in großen Mengen verwendete Wasser als Floral Water in der Kosmetik. Missernten und Rohstoffverknappungen haben diese Konzerne früh ihre Abhängigkeit von den natürlichen Grundlagen und die Verletzlichkeit durch Wetterextreme spüren lassen, daher die Vorreiterrolle.
Man sieht, unter Nachhaltigkeitsaspekten ist Parfum ein Produkt, in dem sich beinahe alle existenziellen Herausforderungen unserer Zeit spiegeln. Und bisher haben wir nur über den juice, also die Flüssigkeit in der Flasche, gesprochen.
Aber wie schaut es mit dem Drumherum aus, dem Flakon und der Verpackung? Duft kann man nicht sehen und das eigentliche Produkt ist eine meist farblose Flüssigkeit. Hier kommen das Behältnis, die Verpackung und die Werbung ins Spiel – das Auge riecht mit. Der markante Flakon, die Haptik der Kappe, die Umverpackung, all dies vermittelt, was wir von dem Duft selbst erwarten dürfen.
Hier kommt die gute Nachricht: Mag bei den Inhaltsstoffen oft unklar sein, welcher der nachhaltigere Weg ist, ist es beim Thema Verpackung sehr eindeutig. Je weniger Verpackung, je öfter und länger benutzt, desto besser. Ideal wäre ein Glasflakon ohne Umverpackung, der immer wieder aufgefüllt wird und an seinem Lebensende in seine Bestandteile Glas, Metall und Kunststoff zerlegt wird, um recycelt zu werden.
Die Realität sieht heute leider noch überwiegend anders aus: Die Produktion von Glas ist sehr energieintensiv. Die verschiedenen Werkstoffe (Kappe, Sprühkopf mit Schlauch) sind meist untrennbar miteinander verbunden. Nach Gebrauch wandert das Teil in den Hausmüll, ebenso die überdimensionierte Umverpackung (bedruckt, lackiert, foliengeprägt) aus Karton, die Inlays aus Schaumstoff und die Cellophanierung.
Doch es tut sich etwas: Nachfüllbare Parfumflaschen haben in Europa ihren Marktanteil 2022 auf nun 6 % gesteigert (NPD Marktforschung). Fast alle Premiummarken bieten inzwischen einzelne Refills an, sei es Prada, Mugler oder Chloé. Bei Kilian Paris sind sogar alle Flakons beliebig oft nachfüllbar, auch der auch der sehr außergewöhnliche Rosenduft Roses On Ice. LVMH (unter anderem Dior, Kenzo und Guerlain) möchte in Zukunft Bioplastik für Verschlüsse nutzen.
Vorreiter sind oft kleine Nischenbrands, etwa Ffern aus London mit einer zu 100 % recyclebaren Umverpackung aus Papier und kompostierbarem Pilzmyzel und einem Pappröhrchen statt Kappe. Die Flaschen des von Michelle Pfeiffer gegründeten Labels Henry Rose bestehen zu 90 % aus recyceltem Glas und die Verschlüsse wurden aus Soja hergestellt. Von dieser Marke gefällt mir besonders Torn, kreiert von Parfümeur Pascal Gaurin. Für die Zukunft stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine Umverpackung braucht, wenn die Flasche smart und ikonisch gestaltet ist.
Die Tatsache, dass viele Parfümerieregale wie ein Horrorkabinett der Nachhaltigkeit ausschauen, zeigt, dass noch ein langer Weg zu gehen ist. Einige Marken liefern sich echte Materialschlachten mit Kreationen, die an Spielzeugdiscounter erinnern: Flakons in Form von Pumps und Blitzen (Carolina Herrera), Siegerpokalen und Robotern (Paco Rabanne) oder Handtaschen (Marc Jacobs). Das Ganze besteht aus Glas, Plastik und Gummi, Strass und Glimmer, Moncler verbaut sogar noch ein elektronisches LED-Band. Verweilzeit dieser Materialien in der Umwelt: viele tausend Jahre.
Neben mehr ökologischem Bewusstsein braucht es offensichtlich auch eine Neudefinition unseres Luxusbegriffs, ein bisschen Stellschraubendrehen hier und dort wird nicht reichen, um unsere Zukunft auf diesem Planeten zu sichern. Was es braucht, ist weniger von allem, dafür Besseres und Intelligenteres. Weg vom Luxus des Verschwendens, hin zum Luxus der Genussqualität und des guten Gewissens. Der Freude am Duft würde keinerlei Abbruch getan, wäre dieser nicht unter Lagen aus Verpackung und Kitsch verborgen. Vielleicht würden wir uns dann sogar mehr auf die Freude am Riechen selbst konzentrieren.
HELDER SUFFENPLAN
ist unabhängiger Publizist und Creative Consultant aus Berlin. Schon seit seiner Kindheit hegt er eine besondere Leidenschaft für Parfums. Mit dem erfolgreichen Start von SCENTURY.com – dem ersten Online-Magazin für Perfume Storytelling – im Jahr 2013 wurde Helder zur anerkannten Persönlichkeit in der globalen Welt der Düfte. Er war Jurymitglied u. a. für The Art & Olfaction in Los Angeles oder dem Prix International du Parfumeur- Créateur, Paris. Als Autor verbindet er sein Lieblingsthema Parfum mit vielfältigen Bereichen wie zeitgenössischer Kunst, Popkultur, Literatur, Film und Geopolitik.
Foto: Holger Homann