Die ALBERTINA zeigt die Highlights ihrer großen Bestände an Werken Jim Dines – eine repräsentative Auswahl der großzügigen Schenkung des Künstlers, die sein Oeuvre facettenreich präsentiert.
Jim Dine wird gerne als einer der Pioniere der Pop-Art rubriziert: ein Missverständnis. Aber wer wie
Dine Alltagsgegenstände, und seien sie noch so sehr mit der eigenen Biografie verwoben, zu Assemblagen arrangierte, wurde in den frühen 1960er-Jahren fast zwangsläufig der Pop-Art
zugeordnet. Die frühe Vorliebe für „popular motives“ wie das Herz, grellbunt und laut, oder das Sujet des trivialen Bademantels mussten Jim Dine unweigerlich in den Sog dieses amerikanischen
Aufbruchs der 1960er-Jahre ziehen. Dazu kommt noch die Bewunderung des Künstlers für die Patres der Pop-Art, Jasper Johns, Robert Rauschenberg und Claes Oldenburg: Das Etikett der Pop-Art sollte also für lange Zeit auf Jim Dines Werk haften und so den Zugang zu dessen zutiefst subjektiver Dimension verstellen.
Jim Dine bezeichnet sich als zeichnenden Maler und ist zu Recht davon überzeugt, dass er in keine
Kunstrichtungen oder Ismen einzugliedern ist. Der freie und unkonventionelle Umgang mit den
Möglichkeiten von Malerei, Zeichnung und Druckgrafik und die Offenheit für Experimente, ob sie nun in die Abstraktion führen oder dem Gegenständlichen verbunden bleiben, sind Ausdruck seiner
wertfreien Begegnung mit dem Bildgegenstand.
Das Selbstporträt als Enthüllung des Ich Die große Anzahl an Selbstporträts ist eine Besonderheit in Dines Werk. Auch die Klarstellung, dass der Künstler den Bademantel als eine Selbstthematisierung, als Selbstporträt versteht, hat diese Werkgruppe nicht davor bewahrt, in ihr nur die Wiedergabe des Äußerlichsten, das einen Menschen kleiden kann, zu sehen.
Die Werkgruppe der Selbstbildnisse erlaubt einen eigenständigen, intensiven und überraschenden
Dialog mit Künstler und Werk. Während sich etwa Rembrandt in seinen Selbstbildnissen einmal als
betrunkener Bettler, als Edelmann, als verlorener Sohn, als erfolgreicher oder als gescheiterter, als
zweifelnder Maler. Auch Albrecht Dürer kennt die große Spannbreite zwischen der christologischen
Selbstdeutung oder dem stolzen Verlobten.
Jim Dine zeigt im Gegensatz zu diesen Ahnherren des Selbstbildnisses stets dasselbe „Ich“, dasselbe
Gesicht, mit geringen emotionalen Variationen. Er setzt fast immer dieselbe Mimik auf: Sein Blick ist
ernst. Jim Dine verkleidet sich nicht. Er spielt keine Rollen. Seine Selbstbildnisse sind keine Beiträge
zu verschiedenen Stufen eines langen Lebens. Sie sind keine Autobiografie, keine situative Selbstanalyse, kein tiefgründiges Studium der Psyche, der Gedanken und Gefühle in einem
datierbaren Augenblick des Lebens. Jim Dines Selbstporträts sind vielmehr Studien jenes
unveränderlichen Kerns des Charakters, der über alle Höhen und Tiefen, über alle Stürme, Krisen und Freuden des Lebens hinweg gleich bleibt. „Ich male, wer ich bin, ich male, was ich bin.” In diesem Zitat
Jim Dines deklariert der Künstler sein Verständnis der Selbstdarstellung als ein Medium der
Enthüllung des Ich, wie es war, ist und bleibt. Das Subjektive in der Objektivität des Alltags.
Tatsächlich aber ging es Jim Dine immer um das Innerste, das Subjektivste. Der Bademantel ist für
Dine ein Objekt, mit dem er seine Gefühle ausdrückt. In der Tat kann man das Schaffen von Jim Dine als ein Nachdenken über sich selbst bezeichnen. Marco Livingstone hat zu Recht Dines Werk „eine langwährende Meditation über das Selbst“ genannt. Nicht nur das Motiv des Bademantels ist ein Platzhalter für den Künstler selbst, auch die über Jahrzehnte in seinem Œuvre allgegenwärtigen
Werkzeuge – Hammer, Säge, Zange – basieren auf Kindheitserinnerungen an diese fremdartigen
Dinge. Dennoch, wer einen Bademantel in Hunderten Formen, Formaten, Techniken und Farben
variiert, für den wird der Bademantel irgendwann das, was er ist: ein Bademantel, ein gewöhnlicher
Gegenstand.
Die Verwendung und Weiterentwicklung unterschiedlicher Druckverfahren bezeugen die Faszination Dines für druckgrafische Techniken. Stets betont der Künstler die große Bedeutung der Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Drucker, nicht nur, weil sie ein Gegenpol zur einsamen Arbeit im Atelier darstellt, sondern weil in dieser Kooperation auch kreativer Austausch und produktive Umsetzung stattfinden.
Dine experimentiert mit vielseitigen Techniken und Materialien und thematisiert Jugend und Alter,
Intimität und Extraversion sowie Serialität und Kreativität auf dem Papier. Seine gegenständlichen
Bildmotive sind als Stellvertreter des Künstlers zu lesen, als Vergegenständlichung seiner Gefühle,
wie Dine selbst erklärt.
Die Ausstellung ist von 8. November 2024 bis 23. März 2025 in der ALBERTINA zu sehen.
iThere are no comments
Add yours