Interview Elfie Semotan: aufgelöste Grenzen

Elfie Semotan Untitled, inspired by Robert Frank, Vienna, 2018; Courtesy of Galerie Gisela Capitain, Cologne; © Elfie Semotan

Die österreichische Fotografin Elfie Semotan begann als Model vor der Kamera, doch schon bald entdeckte sie ihre Leidenschaft für den Platz dahinter.

Das machte sie zu einer der bekanntesten Fotografinnen, für die gute Modefotografie schon immer Kunstfotografie war.

Elfie Semotan, Selbstportrait, New York, um 2010 © Elfie Semotan

Interview: Nina Prehofer

Wie war es, als Sie das erste Mal nach Paris gekommen sind?

Elfie Semotan: Das erste Mal Paris – mit dem Entschluss, auch dort zu bleiben – war aufregend! Denn ich wusste nicht, ob es überhaupt möglich ist, das Leben dort zu finanzieren.

Ich bin in ein Hotel in der Nähe von Trocadéro gegangen und nahm dort ein Zimmer für eine Woche – denn genau so viel Geld hatte ich.

Nach meiner Ankunf war es also wichtig, umgehend Arbeit zu finden. Dafür nahm ich mir ein Telefonbuch zur Hand und rief alle Haute-Couture-Häuser in Paris der Reihe nach an und fragte, ob sie ein Mädchen zum Vorführen brauchen – es muss nur sofort sein. Das gelang mir auch, bei Lanvin.

All das war natürlich extrem spannend für mich. Lanvin war – wie alle Modehäuser – auf der Rue du Faubourg Saint-Honoré. Ich war unglaublich beeindruckt, diese schönen Räumlichkeiten zu sehen, in denen Kundinnen saßen und ich herumgehen musste, um zu zeigen, wie ich vorführe. Alle Leute haben mich angesehen. Ich erinnere mich auch, dass Lanvin damals einen jungen spanischen Designer hatte, der unglaublich schnell und schön Spanisch gesprochen hat.

Warum haben Sie sich so schnell für die Perspektive hinter der Kamera entschieden?

Elfie Semotan: So schnell habe ich mich gar nicht entschieden. Das hat ein paar Jahre gedauert. Denn so schnell konnte ich mich in Paris nicht etablieren – mit meinen nicht so guten Französischkenntnissen – und auch auf dem Markt als Fotomodel musste ich erst Fuß fassen. Als Idee gefiel mir der Platz hinter der Kamera immer schon besser. Es war aber damals noch eine Vorstellung, ein Gedanke. So richtig formulierte sich diese Idee erst aus, als ich John Cook kennenlernte, in der Dunkelkammer arbeitete, lernte, zu entwickeln und ein Gespür dafür bekam, wie man helle und dunkle Kleider, Räume und Formen fotografiert und wie man Dinge am besten darstellt. Ich habe einige Jahre lang fotografiert, selbst entwickelt und viel über die Qualität des Lichtes, der Filme und des Papiers gelernt. Über alles, was eine Rolle spielt.

Man sagt, Sie haben „die Grenzen zwischen Kunst- und Modefotografie aufgelöst“ und damit die Modefotografie neu erfunden.

Elfie Semotan: Ich habe die Grenze zwischen Kunst- und Modefotografie schon sehr früh in meinem Kopf aufgelöst und für mich darauf bestanden, dass ich keine Grenze zwischen den beiden Bereichen ziehen werde. Ich bin der Meinung, dass da keine Grenzen sein müssen.

Gute Modefotografie war immer Kunstfotografie.

Diese Einordnung wurde ja stets nur von jenen Menschen formuliert, deren Arbeit nicht in der aktiven und praktischen Tätigkeit besteht, sondern die hinsehen und betrachten und dann auch beurteilen und einordnen.

o. T., inspiriert von Diane Arbus, aus der Serie Americana,
Wien, 2018 © Elfie Semotan

Wie sehr war Ihnen in dem Moment bewusst, was Sie taten?

Elfie Semotan: Es war mir bewusst, was ich gemacht habe. Es war mir auch bewusst, dass es im österreichischen Kontext der Kunst und im Kontext der Frage, was Kunst ist und was nicht, neu war, was ich machte. Hier hat man sehr genau zwischen Kunst- und Modefotografie bzw. Kunstfotografie und kommerzieller Fotografie unterschieden.

Welchem Antrieb sind Sie gefolgt?

Elfie Semotan: Es war kein spezieller Antrieb, sondern der Antrieb, den man hat, wenn man arbeitet. Jede Arbeit, die man macht, sollte sich weiterentwickeln. Ebenso sollte sich jedes Ziel, das man hat, weiterentwickeln und man sollte sich davon entfernen, wo der Anfang lag – die Regeln, unter denen man sein Ziel kennengelernt hat, zurücklassen. Ich wollte mich von den gängigen Mustern der Modefotografie, dem Verbleiben im gleichen Milieu, der Betonung der klassischen Schönheit, entfernen. Ebenso von der Darstellung etablierter Schönheit im gesellschaftlichen Sinn, den Situationen, in denen Modefotografie gemacht wird und auch gefestigt ist – durch eine gewisse Klasse und einen gewissen Zugang, also die Darstellung eines luxuriösen Lebens. Genau das wollte ich nicht akzeptieren und tat es ohnehin nicht – in meinem eigenen Leben nicht und auch in der Modefotografie nicht.

Warum müssen Grenzen erweitert und gebrochen werden?

Das muss man immer, sonst gibt es keine Entwicklung und keinen Fortschritt.

Elfie Semotan

Kann man das heute noch?

Elfie Semotan: Ja klar, das kann man immer – und wenn man meint, es nicht zu können, muss man es trotzdem tun.


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