Hugo Canoilas nutzt die Tradition und Geschichte der Malerei und Objektkunst, um sie in Verbindung mit installativen und performativen Strategien neu zu bestimmen und zu erweitern. Er nimmt dabei auf aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklun- gen sowie die damit verknüpften philosophischen und kunsttheoretischen Diskurse Bezug.
Die Ausgangslage bilden miteinander verzahnte Themen wie die Klimakatastrophe, die Umweltzerstörung, die Migration und die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich, deren Virulenz durch Corona eine Art pandemischen Katalysator erhält. Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen und ihren Folgen findet der Künstler vor allem in jenen posthumanistischen Denkströmungen, die ein anthropozentrisch-hierarchisch erstarrtes Weltbild infrage stellen und einen einfühlsamen Umgang des Menschen mit der Natur und seiner kreatürlichen Umwelt einfordern.
In diesem Zusammenhang einer neuen emphatischen Weltsicht weist Canoilas der Malerei in seiner Ausstellung eine veränderte Form und Funktion zu: Er kippt sie in die Horizontale und legt sie als Bodenarbeit aus, die sich durchschreiten lässt. Über die gesamte Bodenfläche zieht sich auf textilem Grund ein malerisches Szenario ineinander verfließender Formen mit inselartigen Zentren. Das Blau des Grundes und die darauf gesetzten, urzeitlich anmutenden, quallenartigen und tentakulären Farbwesen aus Wolle und Glas erinnern an eine belebte maritime Landschaft von unabwägbarer Tiefe.
In einer Zeit, die das social distancing zum neuen Überlebensprinzip erhoben hat, sieht man sich in eine unentrinnbare malerische Biosphäre einbezogen, in der Verführerisches und Bedrohliches, Organisches und Technoides zugleich aufscheinen. Denn der Blick von oben auf die Malerei darunter weckt auch Erinnerungen an digitale Landschaftsszenarien, die wie aus der Perspektive einer Drohne aufgenommen sind. Der hier offerierte Perspektivenwechsel kann auch metaphorisch als Abweichung und Distanznahme zu eingeübten Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen im Gesellschaftlichen begriffen werden, um anders und womöglich auch näher an die Dinge heranzukommen.
Die Ausstellung ist auch der Auftrittsort für die von Elise Lammer und Julie Monot auf Einladung des Künstlers entwickelte Performance „BECOMING DOG“, in der das hierarchische Verhältnis zwischen Mensch und Tier in Frage gestellt und durch das Prinzip der Empathie in einem institutionellen Raum ersetzt wird. Darin nutzen Akteure, die als Hunde verkleidet sind, von Zeit zu Zeit die Malerei als ihre Bühne. Als Wesen, die gewöhnlich am Boden entlang schnüffeln, verkörpern sie die Absicht, den aufrechten Gang und den frontalen Blick als Maß aller Dinge zu relativieren. Menschliches und Tierisches erscheint hier wie in einer Travestie ineinander geblendet, um vorgebliche Gewissheiten über Identität und Einzigartigkeit zur Diskussion zu stellen.
Kuratiert von Rainer Fuchs
Ausstellungsansichten / Exhibition Views: Hugo Canoilas-On the extremes of good and evil, Kapsch Contemporary Art Prize 2020/2021Photo: Klaus Pichler© mumok/ Klaus Pichler
Hugo Canoilas
Hugo Canoilas, geboren 1977 in Lissabon, lebt und arbeitet seit 2010 in Wien. Er studierte am ESAD (Escola Superior de Artes e Design) in Caldas da Rainha sowie am Royal College of Art in London.
Ausstellungen (Auswahl): Museu do Chiado, Lissabon; Cooper Gallery, Dundee; Centro de Arte Contemporáneo de Huarte; Frankfurter Kunstverein; Kunsthalle Wien; De Appel, Amsterdam; Museu Calouste Gulbenkian, Lissabon; 30. Biennale von São Paulo; 4th Ural Industrial Biennial.
Porträt / Portrait Hugo Canoilas, Photo: Klaus Pichler©mumok / Klaus Pichler
Kapsch Contemporary Art Prize 2020/2021
Der Preis stellt eine Auszeichnung zur Förderung junger Künstler*innen mit Le- bensmittelpunkt in Österreich dar und wurde 2016 erstmals von der Kapsch Group gemeinsam mit dem mumok ausgelobt. Hugo Canoilas ist nach Anna-Sophie Berger (2016), Julian Turner (2017), Ute Müller (2018) und Anita Leisz (2019) der fünfte Preisträger. Der Kapsch Contemporary Art Prize ist mit 10.000 Euro dotiert und um- fasst eine Einzelausstellung im mumok, zu der eine Publikation erscheint. Zusätzlich wird eine Arbeit oder eine Werkgruppe des Preisträgers von der Kapsch Group für die Sammlung des mumok angekauft.
Jury
Jährlich werden Kunstexpert*innen gebeten jeweils zwei Künstler*innen für den Kapsch Contemporary Art Prize zu nominieren. 2019 setzte sich die Expert*innen- gruppe aus folgenden Personen zusammen: Anne Faucheret, Kuratorin, Kunsthalle Wien, Cosima Rainer, Leitung Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien, sowie Thomas D. Trummer, Direktor Kunsthaus Bregenz.Eine international besetzte Jury, bestehend aus Brigitte Huck, Kunsthistorikerin, Kura- torin, Kunstkritikerin, Susanne Titz, Direktorin Museum Abteiberg, Mönchengladbach, Vitus Weh, Dramaturg und Szenograph, Georg Kapsch, CEO der Kapsch Group und mumok Direktorin Karola Kraus wählte aus den nominierten Künstler*innen den Preisträger aus.
Jurybegründung
„Aus den zahlreichen Einreichungen, die sich durch eine hohe Qualität auszeichne-ten, hat sich die Jury einstimmig für Hugo Canoilas als Preisträger des Kapsch Contemporary Art Prize 2020/2021 entschieden. Hugo Canoilas’ Schaffen wirkt energetisierend: In seinen Händen blühen alte Bildtechniken zu neuem Leben auf, abgelegte Kunstsprachen werden durch Reenactments gerettet, Räume werden zu Bühnen und beginnen zu atmen. Seine ungewöhnlichen Installationen und Bilder, Videos und Performances sind durchgängig von einer gelassenen Opulenz, aber keiner stilistischen Festlegung geprägt. Canoilas’ Dinge sind im Fluss.Zugleich verbindet er unnachahmlich Menschen miteinander: Der Wiener Ausstel- lungsraum Guimarães, der von ihm mitbetrieben wird, ist ein wichtiger Umschlagplatz der jungen Kunstszene und der Durchreisenden“, begründet die Jury ihre Entschei- dung.
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