Die Gamerszene wächst und mit ihr der US-Videospielentwickler Gearbox. Kürzlich ist das Unternehmen nach Montréal expandiert. Das dortige Gearbox Studio wurde von Patriarche geplant – inspiriert von virtuellen Welten, aber auch von den noch recht analogen 90er-Jahren.
Gearbox? Das klingt irgendwie nach einem Autohaus oder einer Kfz-Werkstatt. Schließlich lautet die wörtliche Übersetzung „Getriebe“. Passionierte Gamer wissen jedoch: Hinter diesem Firmennamen verbirgt sich ein Videospielentwickler mit Sitz in Texas. In der wachsenden Szene hat sich das Unternehmen unter anderem als Publisher der Borderlands-Reihe einen Namen gemacht. Auch in Österreich hat das Ego-Shooter-Rollenspiel, angesiedelt in einem Space-Western-Szenario, eine große Fangemeinde. Nicht zuletzt, weil es inzwischen sogar eine Verfilmung mit Cate Blanchett, Kevin Hart und Jamie Lee Curtis gibt. Im August 2024 kam die Action-Komödie in die Kinos.
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Doch auch ohne Hollywoods Hilfe wuchs und wächst Gearbox. Bereits 2015 war man nach Quebec City expandiert. 2021 wurde beschlossen, 130 Millionen Euro in die Hand zu nehmen, um auch in Montréal ein Gearbox Studio zu gründen. In der kanadischen Metropole, die sich in den vergangenen Jahren zu einem bedeutenden Zentrum der internationalen Videospielbranche entwickelt hat, sollten 250 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Und zwar in einem architektonischen Rahmen, der es den ansässigen Talenten ermöglicht, „an der Borderlands-Reihe zu arbeiten, aber auch neue, originelle Ideen zu entwickeln“, so Randy Pitchford, Gründer der Gearbox Entertainment Company.
Kreativer Hub für die Gaming-Industrie
Um aber Raum für Kreativität zu schaffen, braucht es mehr als nur Büroflächen. Nach dem Erfolg des ersten gemeinsamen Projekts in Quebec City, das den Grand Prix du Design in der Kategorie „Innenarchitektur, Büro, Kreativfirma und Unternehmen im Bereich neue Technologien“ gewann, beauftragte man daher erneut die Planer von Patriarche für die Gestaltung des neuen Gearbox Studios. Jedoch galt es, für Montréal einen ganz neuen Ansatz zu wählen – schon aufgrund der besonderen Konfiguration des Standorts. Der schlauchförmige Grundriss stellte sich jedenfalls als große Herausforderung dar. Denn wie verschiedene Funktionsbereiche schaffen, ohne das Gefühl von Enge oder Trennung aufkommen zu lassen?
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Die Lösung lag in einem innovativen Designansatz: Um eine dynamische Umgebung zu schaffen, aber gleichzeitig klare Orientierungspunkte und einen flüssigen, intuitiven Benutzerpfad zu bieten, strichen die Planer trennende Wände. Stattdessen setzten sie Planer auf Farbkontraste und variierende Stimmungen, um die verschiedenen Bereiche voneinander abzugrenzen. Jede Zone wurde so gestaltet, dass sie spezifische Anforderungen erfüllt – sei es für die Zusammenarbeit, konzentriertes Solo-Brainstormen oder einfach nur zum Entspannen. „Mit dieser funktionalen Vielfalt stellt unser Entwurf sicher, dass jedes Teammitglied einen Raum findet, der seinen Aktivitäten und Vorlieben entspricht. Das fördert das Wohlbefinden am Arbeitsplatz – und damit die Produktivität“, ist man bei Patriarche überzeugt.
Level-up fürs Büro
Auf dem Papier ist das Ergebnis ein 3.058 m² großes Studio mit 208 offenen Arbeitsplätzen, zwölf Besprechungsräumen, elf kreativen Lounge-Bereichen und einer Cafeteria auf einer bunten Etage. Im Arbeitsalltag jedoch präsentiert sich der Entwurf als ein Level-up des Bürointeriors, das den Geist der Gaming-Kultur atmet und bei dem Kunst und Design miteinander verschmelzen. Fast wirkt das Studio, als sei es selbst Teil eines kultigen Videospiels.
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Für das Gearbox Studio in Montréal „ließen wir uns von der einzigartigen urbanen Energie der Metropole inspirieren“, so das Patriarche-Team. Eine wichtige Inspirationsquelle: die verlassenen Gebäude und Graffitis im Industrieviertel Vieux Port, in dem Gearbox heute ansässig ist. „Wir integrierten Elemente der Street Art in die Gestaltung, um die Einflüsse der Popkultur und der 1990er-Jahre widerzuspiegeln.“ So wurde zum Beispiel die genderneutrale Beschilderung vom ikonischen Videospiel Mario Bros. inspiriert, mit einer pixelartigen typografischen Komposition. Ein gelber Vorhang aus einer Schweißerwerkstatt, liebevoll „Die Dusche“ genannt, fügt eine unerwartete industrielle Note hinzu. „Dieses einzigartige Detail erinnert an den rohen, industriellen Geist einer Baustelle und bildet einen bewussten Kontrast zum gemütlichen Komfort des restlichen Cafeteria-Bereichs“.
Natur trifft Kunst
Ein weiterer Hingucker ist das Mobiliar. Hier treffen rohe Materialien auf organische Formen: Hocker, die an Baumstämme erinnern, und ein massiver Besprechungstisch mit Holzzweigen als Beine bringen natürliche Elemente in den von Technik geprägten Arbeitsalltag. Und damit nicht genug der inspirierenden Umgebungsgestaltung. Ein zentrales Element des Designs ist auch die Zusammenarbeit mit dem Künstler Julien Lebargy. Eine Reproduktion seines Werks „Bombe Little Boy“, die in der Nähe des Eingangs ausgestellt ist, soll durch die Reminiszenzen an die Kriege der Vergangenheit das Bewusstsein für zeitgenössische Missstände schärfen und zur Auseinandersetzung mit historischen Themen anregen.
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Mit seiner einzigartigen Verbindung aus Kunst, Design und Funktionalität setzt das Gearbox Studio neue Maßstäbe in der Büroarchitektur für kreative Branchen. Die Ehre dafür gebührt natürlich dem Architekturbüro. Wobei man im Falle von Patriarche eher von einem international tätigen Kompetenzzentrum sprechen muss. Einem Zentrum, in dem Architekten, Ingenieure, Stadtplaner, Landschaftsarchitekten, Innenarchitekten, UX-Designer, Grafiker, Immobilienbetreiber, Dienstleister und viele mehr zusammenarbeiten. „Agentur für Augmented architecture“ nennt Patriarche sich selbst. Und meint damit „eine erneuerte Praxis der Architektur, die darauf abzielt, alles verfügbare technische, soziologische und wissenschaftliche Wissen in den Entwurfsprozess zu integrieren.“ Der Architekt fungiert dabei als Vermittler in einem heterogenen Team und als Übersetzer der Kundenwünsche.
Augmented architecture
Apropos Kundenwünsche: Dass das Gearbox Office in Montreal heute mehr ist als ein Arbeitsplatz – eine interaktive Umgebung nämlich, die den kreativen Prozess der Spieleentwicklung aufgreift und weiterführt –, ist auch dem Auftraggeber selbst zu verdanken. „Der Kunde hat uns sein volles Vertrauen geschenkt und erwies sich als außergewöhnlicher Partner, der sich ohne Zögern auf unsere kühnsten Ideen einließ“, berichtet Patriarche. „Dieses gegenseitige Engagement führte zu einer gemeinsamen Vision, die in einem außergewöhnlichen Arbeitsplatz resultierte.“
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Wo Innovation und Originalität im Vordergrund stehen, können kreative Ideen wachsen. Das haben auch schon die neuen Gaming-Kreationen der Branchenkollegen gezeigt, die zuvor das Thema Gaming spielerisch in den Mittelpunkt ihrer neugestalteten Arbeitswelten gerückt hatten. Das Istanbuler Studio Good Job Games etwa oder der deutsche Computerspiele-Entwickler Ubisoft.
Man darf also gespannt sein, was sich die Entwickler-Teams von Gearbox als nächstes für die wachsende Gamer-Szene ausdenken werden. Und ob sich darin ein kleines Stück des Studios in Montréal wiederfindet. In die bunt-verrückte Spiele-Welt von Borderlands würden eine gelbe Dusche oder eine Bombe namens Little Boy jedenfalls gut passen …
Text: Daniela Schuster
Bilder: Mano Photographe
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