Bauhaus: frei SCHWINGEN

Thonet Stuhl ©Thonet

Text by Nina Prehofer

Die berühmteste Gestaltungsschule von allen, das „Bauhaus“, feiert ihren 100 Geburtstag. Zum Jubiläum gibt es zahlreiche Möglichkeiten die Wurzeln de Moderne zu erkunden und ihre bekanntesten Designs zu feiern. Eines davon ist der „Freischwinger“ – ein Stuhl, der durch seinen einzigartigen Bogen zum Schwingen gebracht wird.

DAS BAUHAUS: EINE IDEE, DIE SCHULE GEMACHT HAT. IN DEUTSCHLAND, ABER AUCH WELTWEIT.

Funktionale Gestaltung und modernes Bauen haben eine Epoche geprägt, der Traum eines Gesamtkunstwerks aus Kunst und Kunstgewerbe, Architektur und Design, Tanz und Theater gibt bis heute Impulse. Weimar, Dessau und Berlin sind die drei Stationen, an denen die weltberühmte Hochschule für Gestaltung zwischen 1919 und 1933 bestanden und maßgeblich gewirkt hat. Heute befinden sich hier Architektur-Ikonen, UNESCOWelterbestätten und herausragende Bauhaus- Sammlungen.

1926

first draft of cantilever/Mart Stam/patent drawings
first draft of cantilever/Mart Stam/patent drawings ©Thonet

Im Jubiläumsjahr 2019 veranstalten sowohl das Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung in Berlin als auch die Stiftung Bauhaus Dessau und die Klassik Stiftung Weimar große Ausstellungen. Es war in Stuttgart allerdings, wo die erste Modelle des Freischwingers präsentiert wurden. Der später zu den weltweit einflussreichs-ten Architekten zählende Ludwig Mies van der Rohe erfuhr von dem Experiment seines holländischen Kollegen Mart Stam, der 1926 seinen bahnbrechenden Entwurf eine

hinterbeinlosen Kragstuhls vorstellte, der auf zwei übereinanderliegenden Kuben basierte. Sein Prototyp war aus Gasrohren hergestellt und somit statisch. Biegungen mussten mittels eingefügter Kniestücke hergestellt werden. Mies van der Rohe hingegen bediente sic der Technik von kalt gebogenem Stahlrohr, mit deren Hilfe die elastischen Eigenschaften des Materials erhalten blieben. Er ersetzte die Kuben durch großzügige Bogen und brachte den Stuhl somit zum Schwingen.

1931

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Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer
Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer ©Thonet

Der Freischwinger

Es sollte zwischen 1926 und 1931 mehrere Varianten des Freischwingers geben, die aber immer durch ihre Einfachheit und Eleganz beeindruckten. Mart Stam entwickelte seinen ursprünglichen Entwurf weiter, Marcel Breuer gelang es mit dem S 35, alle Funktionen eines frei schwingenden Stahlrohrsessels in einer einzigen durchgehenden Linie zu konstruieren, die auch die Armlehnen einbezieht. Breuer erreichte mit seinem Entwurf einen doppelten Freischwinger-Effekt: Sitz und Armlehnen federn unabhängig voneinander. Produziert werden die Freischwinger damals wie heute von Thonet.

Neuinterpretation der Designer Besau Marguerre

Gewürdigt wird der Freischwinger durch eine Neuinterpretation der Designer Besau Marguerre, deren Entwurf in einer limitierten Jubiläumsedition von Thonet hergestellt wird. Das Designduo aus Hamburg, Eva Marguerre und Marcel Besau, entwickelte für die Version S 533 F mit Armlehnen gleich zwei neue Ausführungen: Fein abgestimmte, sinnliche Farben und Materialien holen den ikonischen Stahlrohrsessel in die Gegenwart. Die zwei neuen Varianten der Jubiläumsedition – eine mit Gestell in Perlglanzchrom und anthrazitfarbenem Leder und die zweite in Champagnerchrom mit Leder in Zartrosé – vereinen die Sachlichkeit des Bauhauses mit einem warmen haptischen Look and Feel.Die Arbeit mit einem solch prägenden Design war für uns eine extrem spannende Aufgabe. Waren die meisten Entwürfe aus den 1920er-Jahren eher schlicht und funktional, so spürt man bei diesem Sessel deutlich die Handschrift des Architekten: Mies kombiniert hier Funktionalität und Komfort mit zeitloser Ästhetik – und genau diese wollten wir in die Gegenwart holen. Dabei fiel uns die Wandlungsfähigkeit des Bauhaus-Klassikers auf, sodass schnell klar war: Der S 533 F hat mehr als eine Neuinterpretation verdient. So kamen wir auf die Idee des Pärchens“, erzählt Marcel Besau. Das Ergebnis sind zwei komplementäre Versionen, die sich ergänzen und gleichzeitig als Solitäre Akzente setzen können.

2019

THONET BAUHAUS by STUDIO BESAU-MARGUERRE
THONET BAUHAUS by STUDIO BESAU-MARGUERRE ©Thonet

DIE WELT NEI DENKEN

Vom Frei-schwingen zum Frei-feiern. Unter dem Motto „Die Welt neu denken“ wird das Bauhaus-Jubiläum an gleich mehreren Orten in Deutschland gefeiert und dazu eingeladen, den Spuren der Gestaltungsschule in Deutschland und der Welt nachzugehen und ihre Impulse für unsere Gegenwart und Zukunft zu erkunden.

Klassik Stiftung Weimar

Die Klassik Stiftung Weimar eröffnet am Bauhaus-Gründungsort Weimar ein neues Museum. Das bauhaus museum weimar wird ab 6. April 2019 mit zeitgenössischer Architektur und multimedialer Ausstellungsgestaltung nicht nur die Schätze der weltweit ältesten Bauhaus-Sammlung neu inszenieren. Der Museumsneubau verknüpft Weimarer Bauhaus-Geschichte mit den Fragen der Lebensgestaltung von heute und morgen. Als offener Ort der Begegnung und Diskussion in einem neu entstehenden Quartier Weimarer Moderne bietet es zeitgenössische Perspektiven auf die ambivalente Wirkungsgeschichte der Moderne von ihren Anfängen bis heute.

Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung in the Berlinische Galerie

Anlässlich des Jubiläums zeigt die Ausstellung des Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung in der Berlinischen Galerie berühmte, bekannte und vergessene Bauhaus- Originale und erzählt die Geschichte hinter den Objekten. Ausgehend von 14 Objekten entfaltet „original bauhaus“ 14 Fallgeschichten: Wie wurde die Sitzend im Stahlrohrsessel zur berühmtesten Unbekannten des Bauhauses? Hat das Haus „Am Horn“ in Weimar einen heimlichen Zwilling? Wieso blieb das Tee-Extraktkännchen, als Prototyp für die Industrie geschaffen, immer Unikat? Zu sehen sind Kunst und Design aus der Sammlung des Bauhaus-Archivs, besondere Leihgaben aus internationalen Sammlungen und künstlerische Positionen, die das Bauhaus-Erbe neu betrachten.

Bauhaus Museum Dessau

Mit der Eröffnung des Bauhaus Museum Dessau im Jahr 2019 wird es erstmals möglich, die Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau, die rund 40.000 Exponate umfasst, in ihrer Vielfalt und Qualität zu zeigen und mit ihr die Geschichte des Bauhauses in Dessau zu erzählen. Unter dem Titel „Versuchsstätte Bauhaus. Die Sammlung“ erwartet die Besucher auf 1.500 m2 eine Ausstellung zu der national wie international einzigartigen Bauhaus-Sammlung, in der die Geschichte de epochemachende Schule in Dessau in einem Parcours von miteinander verbundenen Kapiteln nachvollziehbar wird. Es war vor allem die Dessauer Hochschule für Gestaltung, die an einer „industriellen Kultur des praktischen Lebens“ arbeitete und dazu beigetragen hat, dass „Bauhaus-Dinge“ wie Schrifttypen, Möbel, Textilien, Tapeten und Architekturen heute selbstverständlich in unserer Alltagskultur verankert sind.

bauhaus100.com