Ewald Arenz: Vom großen Glück, noch einmal die Liebe zu finden

Ewald Arenz

Für das richtige Leben ist es nie zu spät: Der neue große Roman von  SPIEGEL-Bestseller-Autor Ewald Arenz berührt von der ersten Seite an.

Von der ersten Begegnung an wissen Clara und Elias, dass sie füreinander bestimmt sind. Damit ändert sich alles: Elias kann nicht länger verdrängen, dass er mit seiner Freundin in einem falschen Leben steckt. Und Clara begreift, dass es Zeit wird, das selbst gewählte Alleinsein aufzugeben. Doch da sind der Altersunterschied und ihre nicht bewältigten Schuldgefühle nach dem Tod ihres Mannes. Elias wiederum weiß nicht so recht, wie man im Leben zu etwas steht, denn als Schauspieler versteht er sich darauf, sich immer wieder aus der Wirklichkeit ins Spiel zu retten. Auf das wilde Glück der ersten Tage folgt die erste Bewährungsprobe, und die beiden zweifeln und kämpfen miteinander und umeinander. Kann man, nicht mehr ganz jung und beladen mit Lebenserfahrung, noch einmal oder überhaupt zum ersten Mal die Liebe finden und leben? Die Antwort lautet: Ja!

Leseprobe:

Wie schnell der Garten verwildert war! In den ersten Jahren war sie immer noch herausgefahren. Im Spätwinter die Apfel-bäume beschnitten. Im März das Frühbeet bepflanzt. Im Juni Johannisbeeren geerntet … alles Dinge, die sie vorher nie getan hatte. Alles Dinge, die Paul ihr gezeigt hatte. Waren es nicht immer die Frauen, die Gartenarbeit liebten? Ihr hatte das nie viel bedeutet, aber sie hatte immer gemocht, Paul dabei zuzusehen. Weil er so sehr in dem aufging, was er gerade tat.

Clara stieg aus dem Auto. Die Tür schlug heftiger zu als beabsichtigt. Es war ungewöhnlich windig. Unbeständig und kühl – so waren diese frühen Apriltage bisher gewesen. So wie sie. Unbeständig und kühl. Aber etwas hatte sich geändert, et-was war in Bewegung gekommen. Deswegen war sie so lange nicht hier gewesen, und deswegen war sie jetzt kurz entschlos sen hergefahren.

Das Häuschen erschien ihr wie immer, wenn sie angekommen waren. Die blau gestrichenen Läden zugeklappt. Das Dach womöglich noch ein wenig niedriger als früher. Der alte Wein-stock, dessen Stamm sich müde an die Fassade lehnte, hatte noch nicht ausgetrieben. Der Wein kam immer spät. Aber die Heckenrose am Zaun mit ihren jahrelang ungestutzten Ranken sah aus, als hätte sie Angelschnüre in Richtung des Hauses ausgeworfen. Das Rot der letztjährigen Hagebutten eine leuch-tende Verlockung gegen den wilden, wolkeneilenden Himmel an diesem winddurchwehten blauen Frühlingstag. Wenn sie es so fotografierte, würde es sicher nicht so schwer sein, einen Käufer zu finden. Sie nahm die Kamera und versuchte ein paar Bilder. Ein wenig von der Stimmung konnte sie einfangen. Der Stimmung um das Haus. Nicht von der, die in ihr war und die sie eigentlich nicht anrühren mochte, um sie nicht zu zerstören. Sie klappte den Briefkasten auf. Der Schlüssel lag noch immer darin, begraben unter uralter Werbung. Und dann, wie mit einem starken Windstoß, war doch alles da. Die Erinnerung an die vielen Male, die sie gekommen waren, um zu renovieren, zu streichen, alte Möbel herzubringen, die sie auf Trödelmärkten gekauft hatten, und schließlich, um einfach ein Wochenende hier zu sein. Diese kleinen, schon fast vergessenen Zufriedenheiten, die erst im Rückblick zu Glück wurden. Dass man die Augenblicke nicht genug genossen hatte! Dass immer eine Kleinigkeit nicht gepasst hatte! Wenn Clara daran zurückdachte, fiel es ihr schwer, zu verstehen, dass sie das damals nicht aufgesogen hatte, in sich hineingetrunken, bis sie von diesem Glück satt war, erfüllt, so erfüllt, dass sie müde wurde und ihr weich die Lider zufielen vor Glück. Sie straffte sich und nahm die Kamera wieder hoch. Das würde nicht noch einmal passieren. Nie wieder.

Später saß sie auf der Veranda, die sie miteinander gebaut hat-ten. Sie hatte sich einen der Stühle aus dem Holzschuppen geholt und ihn gegen die Mauer gekippt. Sie liebte es, so zu sitzen. Schon seit der Schule. In der Schwebe; immer um diesen Punkt der Balance herum, den man nur für wenige Augenblicke halten konnte, ohne sich anzulehnen oder wieder nach vorne zu fallen. Manchmal leuchtete die Sonne rot vor ihren geschlossenen Augen auf, und sie spürte eine flüchtige Wärme im Gesicht, dann zog in rascher Folge wieder eine Wolke vorbei und es wurde ebenso schnell kühl. So allein und so still hatte sie noch nie hier gesessen. Die Stille ließ die alten Bilder aufsteigen. Sollten die Erinnerungen ruhig kommen, sie hauten sie nicht mehr um. Eine Bö fegte um die Hausecke, traf Clara und sie riss reflexhaft die Beine hoch, um nicht hintüberzukippen der Stuhl landete hart auf den Beinen, und sie musste lachen. Die Erinnerungen vielleicht nicht, aber der Wind. Die Realität. Das Heute. Nur, weil man im Gestern überlebt hatte, hieß das noch nicht, dass es nun wieder klappen würde.

Sie sah die Fotos durch. Ein paar Aufnahmen von den Innen-räumen musste sie noch machen. Gerade war der Himmel ziemlich frei und das Licht innen sicher schöner.

Sie ging zurück ins Haus. Es war, als träte man in eine winterliche Kirche. Das Haus war seit Ewigkeiten nicht mehr geheizt worden, und die Kälte nahm ihr den Atem. Dabei schien die Sonne durch die Fenster und zeichnete alles freundlich und weich. Das lichtbraune Holz des niedrigen Tischs. Die verbli-chenen Polster der alten Sessel aus den Fünfzigerjahren. Sogar die verwaschen altweißen Kacheln der kleinen Küche. Alles sah honigwarm aus, ließ sich wunderbar fotografieren und war doch eiskalt. Sie atmete auf, als sie durch die Vordertür wieder ins Freie trat. Der Wind kam ihr auf einmal freundlich mild vor.

Über den Autor

Ewald Arenz, 1965 in Nürnberg geboren, hat englische und amerikanische Literatur und Geschichte studiert. Er arbeitet als Lehrer an einem Gymnasium in Nürnberg. Seine Romane und Theaterstücke sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Mit ›Alte Sorten‹ (DuMont 2019) stand er auf der Liste »Lieblingsbuch der Unabhängigen« 2019 und sowohl als Hardcover wie als Taschenbuch auf den SPIEGEL-Bestsellerlisten. Sein Roman ›Der große Sommer‹ (DuMont 2021) war 2021 »Lieblingsbuch der Unabhängigen« und steht ebenfalls seit Wochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Sein neuer Roman ›Die Liebe an miesen Tagen‹ erscheint im Januar 2023. Der Autor lebt mit seiner Familie in der Nähe von Fürth.

Ewald Arenz, „Die Liebe an miesen Tagen“, Dumont Buchverlag

Fotocredits: Lowarig, Ilka Birkefeld