Ein besonderes Highlight der neuen alpinen Architektur befindet sich in den Eggentaler Dolomiten. Nicht nur, weil die Hütte Oberholz auf über 2000 Meter liegt, auch weil sich Tradition und Moderne hier auf Augenhöhe treffen.
Die freitragende Struktur wächst aus dem Hügel wie ein umgestürzter Baum mit drei großen Verästelungen und bildet dabei eine Symbiose mit der Landschaft.“ So umschreibt das Südtiroler Architekten-Duo Peter Pichler und Pavol Mikolajcak die markante Form der Berghütte Oberholz, die am Fuß des Latemar aus dem Felsmassiv ragt. Der langgezogene Bau verläuft im hinteren Teil unterirdisch und mündet dann schwungvoll in drei auskragenden Stuben mit geschosshohen Fensterfronten. Jede einzelne rahmt die Aussicht auf eine andere Berggruppe im imposanten Alpenpanorama. Der restliche Ausblick erschließt sich auf der Außenterrasse, die über dem Abhang schwebt.
Eine kurvilineare Geometrie
Die Raffinesse der verästelten Kubatur wird im Inneren durch die Tektonik der sichtbaren Holzkonstruktion noch verstärkt. Die parametrisch designte Struktur besteht aus individuellen Holzportalen, die in ihrer Gesamtheit die kurvilineare Geometrie des Gebäudes räumlich herausarbeiten. Die Bereiche zwischen den Portalen sind mit Elementen aus Brettsperrholz ausgekleidet und bilden flache Nischen aus.
Die freitragende Struktur wächst aus dem Hügel wie ein umgestürzter Baum mit drei großen Verästelungen und bildet dabei eine Symbiose mit der Landschaft.
Peter Pichler und Pavol Mikolajcak, Architekten
Die drei Volumina, die sich zum Panorama hin öffnen, entsprechen formal dem alpinen Archetypen einer Hütte mit Satteldach. Im Innenraum bilden sie sogenannte „Pockets“, die den Restaurantbereich lose unterteilen. „Die Pockets verbinden sich zu einem offenen Raum und sind als Neuinterpretation der klassischen ‚Stube‘ konzipiert, die in der Kultur Südtirols tief verwurzelt ist“, erklären die Architekten ihr Konzept.
Errichtet wurde die außergewöhnliche Hütte an der Baumgrenze vom Holzbauunternehmen LignoAlp. „Eine große Herausforderung war die begrenzte Bauzeit auf dieser Meereshöhe, denn die Berghütte sollte innerhalb einer Sommersaison realisiert werden“, erklärt Christoph Mahlknecht, Marketing-Leiter von LignoAlp. „Deshalb entschieden wir uns dafür, die Portale vorzufertigen. „Während auf der Baustelle noch die Stahlbetonarbeiten im Gang waren, entstanden in der LignoAlp-Produktionsstätte schon die fertigen Portal-Elemente.“
Der gesamte Korpus ist fassadenseitig mit Lärchenholzlatten verschalt. Die grundlegende Tragstruktur besteht aus Brettschichtholz der Fichte. „Auch die Innenverkleidung ist aufgrund ihres hellen, ruhigen Erscheinungsbildes in Fichte ausgeführt“, wie man beim Holzbau-Unternehmen Hasslacher erfährt, von dem das Material stammt.
Fine Dining auf 2.096 Meter
Der stützenlose Raum hat etwas Kathedralenhaftes und macht den Einkehrschwung auf der Bergstation des Skigebietes Obereggen zu einem besonderen Erlebnis. Gab es anfangs noch Protest gegen die eingeführte Reservierungspflicht, hat sich dieser zugunsten des ruhigen und gediegenen Ambientes schnell gelegt. Statt Würstel-Kraken vom Selbedienungsrondell gibt es hier Tagliata vom Alpenrind und Schüttelbrottagliatelle. Die Zutaten, die auf 2.096 Meter Seehöhe transportiert und zubereitet werden, stammen natürlich aus regionaler Produktion.
Die Pockets verbinden sich zu einem offenen Raum und sind als Neuinterpretation der klassischen ‚Stube‘ konzipiert, die in der Kultur Südtirols tief verwurzelt ist.
Peter Pichler und Pavol Mikolajcak, Architekten
Das architektonische und kulinarische Prestigeprojekt punktet auch mit einem nachhaltigen Betrieb. Die Energie zum Beheizen des Gebäudes holt man sich ausschließlich aus der Erdwärme, das funktioniert auch in der Höhe bestens. Statt ins Erdreich bohrt man eben 200 Meter in den Berg hinein.
Ein Skiort sieht grün
Auch unten im Skiort Obereggen betreibt man seit fast 20 Jahren ein zertifiziertes Umweltmanagement und stellt damit unter Beweis, dass Wintersport und Klimaschutz kein Widerspruch sein müssen. Statt dem endlosen touristischen Wachstum zu huldigen, schwört man hier auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und verweist mit Stolz auf die Zertifizierung durch das Global Sustainable Tourism Council (GSTC).
Liftanlagen, Schneekanonen, Berg- und Talstationen sowie Unterkunftsbetriebe laufen mit grünem Strom aus Wasserkraft und geheizt wird vielerorts mit Fernwärme aus Biomasse. Dank des engmaschigen Netzes aus Ski- und Wanderbussen und einer guten öffentlichen Anbindung lassen viele ihr Auto im Urlaub lieber stehen.
Tradition und Moderne auf Augenhöhe
Mit ihrer ikonischen Architektur vor der schroffen Kulisse des Latemar bringt die Berghütte Oberholz die regionale Baukultur auf Augenhöhe mit der Moderne. Das Design ist innovativ, ohne dabei einen kontextlosen Fremdkörper in die Landschaft zu setzen. Die alpine Tradition wird weitergedacht und dabei auf das Wesentliche reduziert.
Durch den Einsatz von CO₂-Senken wie Holz und der Nutzung erneuerbarer Energie wird sie auch den Ansprüchen unserer Zeit gerecht.
Das engagierte Hütten-Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Surface Design Award 2022. Und weil es ein perfektes Fotomotiv abgibt, war die Hütte auch schon Werbeträger in der Image-Kampagne des Landes Südtirol.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Oskar Dariz
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