Im Frühjahr 2024 entscheidet es sich, ob die dänische Stararchitektin Dorte Mandrup mit ihrem Kangiata Illorsua Ilulissat Icefjord Centre Preisträgerin des Mies van der Rohe Award wird. Das Eisfjord-Informationszentrum in Grönland ist für den prestigeträchtigsten europäischen Architekturpreis nominiert.
Der Ilulissat Eisfjord ist weltbekannt und wurde 2004 auf die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. Genau dort, 250 Kilometer nördlich des Polarkreises, liegt Kangiata Illorsua, das „Ilulissat Icefjord Centre“. Das Kangiata Illorsua Ilulissat Eisfjord-Centre ist ein Informationszentrum für Besucher, die sich für diese einzigartige Landschaft und vor allem aber für die Hintergründe der Region und deren Bedeutung als empfindlicher Indikator für das Klima interessieren.
In der Ausstellung „The Tale of Ice” des Kangiata Illorsua Ilulissat Eisfjord-Centres erfährt man alles über die Geschichte des Eises, die Kultur im und um das Eisfjord herum sowie über die Auswirkungen des Klimawandels.
Der Kulturbau nach einem Entwurf von Dorte Mandrup Arkitekter wurde nun für den Mies van der Rohe Award 2024 nominiert. Im Frühjahr entscheidet es sich, ob die dänische Stararchitektin nächste Preisträgerin des bedeutenden Preises der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur wird.
Von 362 nominierten Projekten einziges aus Grönland
Dorte Mandrup-Poulsen ist Gründerin und kreative Leiterin des Architekturbüros. Sie war bereits mehrfach für den Mies von der Rohe Award nominiert, 2001, 2002 und 2006. Darüber hinaus hat sie für ihre Arbeit bereits viele Preise erhalten, darunter den Green Good Design Award und den Kunstpreis Berlin. 2019 wurde sie von der Zeitschrift Architektur & Wohnen zum Architekt des Jahres gekürt.
Von den nun 362 nominierten Bauprojekten aus 38 Ländern für diesen prestigeträchtigen Award kommen 25 aus Skandinavien. Das Kangiata Illorsua Ilulissat Eisfjord-Centre ist dabei das einzige Projekt aus Grönland. Der Mies van der Rohe Preis ist mit 60.000 Euro dotiert. Neben dem Hauptpreis wird ein Sonderpreis an Nachwuchsarchitekten (20.000 Euro) verliehen. Die Preisverleihung findet im Mai 2024 statt.
Das Informationszentrum liegt in der kleinen, weniger als 5.000 Einwohner zählenden Stadt Ilulissat. Es gilt als Must-see, wenn man diese weite arktische Landschaft besuchen möchte. Das Projekt wurde von der grönländischen Regierung, der Gemeinde Avannaata und der dänischen philanthropischen Vereinigung Realdania finanziert und entwickelt.
Hochmodernes Gebäude auf uraltem Terrain
Insgesamt will man mit dem Kangiata Illorsua Ilulissat drei Ziele erfüllen: Wissen vermitteln sowie Tourismus fördern – daneben soll das Zentrum als Treffpunkt für die Gemeinde dienen.
Doch das Zentrum ist auch ganz für sich allein eine Besichtigung wert: Die Inspiration für das Design kam von einer Schnee-Eule, die auf einem Berg landet.
Mit der Natur bauen – auch da, wo es unwirtlich ist
Für Dorte Mandrup scheint tatsächlich (fast) nichts unmöglich: Selbst in den unwirklichsten und womöglich unwirtlichsten Gegenden der Welt entfaltet sie ihre besondere Sensibilität für Umgebung und Kontext sowie kulturelle Traditionen. Analog dem Flug besagter Schnee-Eule erstreckt sich das Kangiata Illorsua Ilulissat Ilulissat Icefjord Centre entlang der zerklüfteten Küste – ganz getreu dem Motto „Mit der Natur bauen, nicht gegen sie“.
Wie auch beim Projekt The Whale auf der norwegischen Insel Andøya hat sich ein bewährtes Team von Spezialisten eingefunden, die zum Plan eines respektvoll in die Naturlandschaft gesetzten Bauwerks mit Informations- und Ausstellungscharakter passen.
Und die Natur dort hat es in sich: Die grönländische Landschaft ist wohl der perfekte Ort auf der Erde, um ganz demütig zu werden – so klein fühlt man sich neben den majestätischen Eisbergen. Sie stammen von Grönlands Sermeq-Kujalleq-Gletscher, dem aktivsten Gletscher der nördlichen Hemisphäre.
Wolkenkratzer aus Eis
In der Bucht von Disko stößt der Jakobshavn Isbræ, wie er auch heißt, riesige Mengen Eis ins Meer. Auf den rund 60 Kilometern auf dem Weg durch den Fjord türmen sie sich hoch. Man kann richtiggehend dabei zusehen, wie ein Eisberg entsteht – seine Geburt sozusagen mitverfolgen. Denn die Lage des Gletschers ermöglicht einen leichten Zugang zu dieser atemberaubenden Landschaft.
Die Eisberge bilden eine ganze Stadt aus eisigen Wolkenkratzern, Eisriesen in zarten Blautönen bis zu schimmerndem Weiß, eine Farbpalette, die sich mit dem arktischen Sonnenlicht verändert.
Die Bewohner der im Jahre 1741 gegründeten Stadt stellt die Dynamik allerdings mitunter vor große Herausforderungen: Die Veränderungen bei der Bildung und Bewegung von Eisbergen können die Schifffahrtsrouten und die Fischerei beeinträchtigen.
Und zuletzt konnte aufgrund des Ansteigens der globalen Temperaturen eine Beschleunigung des Abbrechens großer Eisblöcke beobachtet werden. Auch diese Aspekte möchte das Kangiata Illorsua Ilulissat Eisfjord-Centre aufzeigen.
Klimatische und geografische Herausforderungen
Die rauen klimatischen und geografischen Gegebenheiten stellten den Bau des Kangiata Illorsua Ilulissat Eisfjord-Centre bei Temperaturen von 30 Grad Celsius unter dem Gefrierpunkt vor Herausforderungen. Aus denselben Gründen mussten für den Betrieb und Erhalt sorgfältig Materialien mit langer Lebensdauer gewählt werden. Auch die Heizung war naturgemäß ein zentraler Aspekt. Das Gebäude ist sehr gut isoliert und wird CO2-neutral mit Ökostrom aus dem Wasserkraftwerk Ilulissat beheizt.
Das Objekt sieht federleicht aus, so als würde es über dem faszinierenden, zerklüfteten Gelände schweben, wie ein ausgestreckter Flügel, der sanft die Felsen berührt. Diese aerodynamische Form des Gebäudes minimiert gleichzeitig die Schneelast. Und sie gibt der Aussicht auf den Fjord einen würdigen Rahmen.
Nur ein Minimum an Beton
Die geschwungene Form wird durch geometrisch unterschiedliche Stahlrahmen erzeugt, die ein doppelt gekrümmtes Dach bilden. Dank der Konstruktionsweise aus Stahl, Holz und Glas wurde nur ein Minimum an Beton verwendet, die leichte Struktur minimiert die Auswirkungen auf das uralte Fundament.
Das Gerüst des Gebäudes wird von einer sanft abfallenden, geschwungenen Holzpromenade überspannt. Sie verkörpert den Ausgangspunkt des Welterbepfads und dient als Treffpunkt, als informeller Sitzbereich und Aussichtsplattform – für den spektakulären Blick auf das Sermermiut-Tal und den Eisfjord.
Die Gesamtfläche des Gebäudes beträgt 1.500 Quadratmeter. Davon sind 900 beheizt und 400 werden als Ausstellungsfläche genutzt. Das Haus beherbergt eine offene Ausstellungsgalerie, ein Café, einen Kinobereich und einen Laden.
Die Dauerausstellung des Zentrums mit dem Titel „Sermeq pillugu Oqaluttuaq“ („Die Geschichte des Eises“) wurde von JAC Studios gestaltet. Hauptsächlich digitale und audiovisuelle Elemente regen auf einer Fläche von 400 Quadratmetern zum Staunen und Nachdenken an.
Die Fußböden, das Dach, die Außenterrassen und das Deck sowie ein großer Teil der Innenflächen sind aus Holz, was dem Haus eine natürliche Wärme verleiht. Als Holzart wurde hauptsächlich europäische Eiche verwendet, die im arktischen Klima widerstandsfähig und langlebig ist.
Dreifach verglaste, raumhohe Fenster verstärken das luftige Gefühl des sparsam gestalteten Innenraums, der atmen und in dem man im natürlichen Licht baden kann. Besucher des ganzjährig geöffneten Kangiata Illorsua Ilulissat Icefjord Centre erleben ein Wechselbad aus Wärme und Kälte, Licht und Schatten, Offenheit und Schutz. Das, was das Menschsein ausmacht.
Text: Linda Benkö
Fotos: Ilulissat Icefjord Centre/Dorte Mandrup; Adam Mørk
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