Interview mit den ZG-Expertinnen Astrid Pfeiffer und Timea Pinter zu: Die Phantastischen Realisten – Hutter, Hausner & Co.
Das Auktionshaus im Kinsky hat in der Weihnachtsauktion das große Glück, mit tollen Einbringungen einen eigenen Phantasten-Raum bespielen zu können. Wie kann man diese Kunstrichtung erklären?
Astrid Pfeiffer: Die Wiener Schule des Phantastischen Realismus hat sich in den 1950er Jahren formiert. Sie stand dem Gedankengut der 1920er Jahre nahe: einerseits dem Surrealismus, andererseits der Psychoanalyse, die gerade im Wien der Zwischenkriegszeit diskutiert wurde. Diese Kunstrichtung nahm nach dem zweiten Weltkrieg ihren Ausgang an der Wiener Akademie der bildenden Künste, auch als Antwort auf die dunklen Jahre des Nationalsozialismus. Zu den prominentesten Vertretern der Phantastischen Realisten zählen Ernst Fuchs, Arik Brauer, Rudolf Hausner, Anton Lehmden, Helmut Leherb und Wolfgang Hutter, ebenso Peter Proksch und Kurt Regschek.
Wodurch zeichnet sich dieser Kunststil aus?
Astrid Pfeiffer: Charakteristisch waren die fantastisch-unwirklichen Motive, die mit höchster technischer Perfektion umgesetzt wurden. Die Pflege und das Wiederaufleben altmeisterlicher Maltechnik, insbesondere der Lasur nach dem Vorbild flämischer und altdeutscher Malerei sowie das Auseinandersetzen mit dem Manierismus waren prägend. Dazu kam eben die Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, die ja in Wien ihren Ursprung hatte.
Wie erfolgreich war der Auftritt der Phantastischen Realisten am Kunstmarkt?
Timea Pinter: Die erste gemeinsame Ausstellung wurde 1959 im Belvedere gezeigt. Wie gerade erwähnt unterschied sich diese Gruppe stark vom damaligen Mainstream der abstrakten Malerei. So verhalf diese Ausstellung ihnen zum ersten großen Durchbruch und internationaler Bedeutung, weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Ihre bizarren, fantasievollen Traumwelten voller Überraschungen fanden schnell Anklang und so wurde der Phantastische Realismus eine der international erfolgreichsten Kunstströmungen der Moderne Österreichs.
Hutters Motive, wie auch das vorliegende, haben häufig etwas sehr Bühnenhaftes – nicht zuletzt seinen zahlreichen Aufträgen für Bühnenbilder zuzuschreiben. Nachdem ihm jedoch klargeworden war, dass sich Gestik, Wort und Sprache der Schauspieler nicht dem Bild unterordnen können, sondern sich das Bild vielmehr dem Theater anpassen muss, bezeichnete er seine Beziehung zum Theater später als „Hassliebe“ – eine Tatsache, die aber der Intention seiner Kunst zuwiderlief.
Wolfgang Hutter ist als Gründungsmitglied der Wiener Schule des phantastischen Realismus bekannt. Gemeinsam mit Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Anton Lehmden und Arik Brauer hatte sich die surrealistische Gruppe innerhalb des seit 1947 bestehenden Art Club herausgebildet und feierte ab den späten 1950er Jahren internationale Ausstellungserfolge. Der Name „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ wurde allerdings erst 1958 vom Kunstkritiker Johann Muschik erfunden.
Was ist zu dem fantastischen – auch fantastisch großen – Gemälde Wolfgang Hutters zu sagen?
Astrid Pfeiffer: Es ist ein wahrlich museales Gemälde! Es trägt den poetischen Titel „Ein Sonnenuntergang“. Man könnte es stundenlang betrachten und immer wieder neue Details entdecken: Daran erkennt man den Könner. Hutter schafft ein ganzes fantastisches Universum – eine Hutterwelt – in einem drei Meter großen Bild. Ich würde ihn sogar als wahrhaften Magier der Malerei bezeichnen.
Was empfinden Sie bei diesen Gemälden?
Astrid Pfeiffer: Zu Hutters Bild fällt mir spontan der „Garten der Lüste“ von Hieronimus Bosch ein; Arbeiten von Botticelli, Bruegel, die großen Landschaftsbilder der Kunstgeschichte. … All diese haben noch immer eine unglaubliche Wirkung, Ausstrahlung und Faszination. Dieses fachmännische Können, das alte Handwerk, die Leidenschaft, die dahintersteckt, all das ist zu spüren.
Das ist die wahre Kunst, finde ich, dass Talent und Leidenschaft, die in einem Kunstwerk stecken, die Zeit überleben, Menschen immer noch berühren.
Timea Pinter: Die Künstler bedienten sich an Szenen aus dem Alten Testament und der Apokalypse, ihre Bildwelten scheinen aus Traumwelten und Mythen entsprungen zu sein, die sie mit kosmischen und erotischen Darstellungen füllten. All das sind Themen, die nie an Aktualität verlieren.
Seit Anbeginn reflektiert Rudolf Hausner in seinem Werk über sich selbst und sein Leben, widmet sich fast manisch einer intensiven Innenschau. Kaum ein Oeuvre gleicht einer derart fortlaufenden Erzählung in beständiger Auseinandersetzung mit der eigenen Person und deren Erleben wie jenes von Hausner. In Anbetracht dessen zeigt sich auch die Schwierigkeit der Einordnung seines Werks, das stets der Wiener Schule des “Phantastischen Realismus” zugerechnet wird, aber auch deutlich surrealistische Züge aufweist. Hausner selbst bevorzugte den Begriff “Psychischer Realismus” als Hinweis auf den introspektiven Charakter seiner Arbeit (Vgl. hierzu: Hans Holländer in: “Rudolf Hausner. Werkmonografie, Offenbach 1985, S.23)
In der Selbstbetrachtung gelangt Hausner zu Erkenntnissen, die er mittels seines Konterfeis – der “Adam”-Figur – artikuliert, und welche auf sein Spiegelbild als Vorlage zurückreicht. Hausner schreckt auch nicht vor dem weiblichen Pol zurück, schafft die Figur der “Anima”, die C.G. Jungs Archetypen-Lehre entspringt. Sie wird als Hausners weibliche Seite identifiziert und interpretiert, tritt später auch als “Eva” auf. Seit Ende der 1960er Jahre verleiht der Maler seinen immer ähnlich dargestellten, erotisch übersteigerten Frauenkörpern mit ausladendem Becken häufig das Antlitz seiner letzten Frau Anne. Oftmals verzichtet Hausner allerdings auch auf die Darstellung des Gesichts und somit auf eine Personifizierung.
Im vorliegenden Werk löst sich das Gesichtsfeld mit Mund, Augen und Nase in einen expressiven Farbdschungel auf. Möglicherweise mag Hausner in Frauenfiguren wie dieser seine selbstzerstörerische Triebempfindung oder andere innere Konflikte verkörpert haben. (Vgl. hierzu: Beate Elsen-Schwedler in: Rudolf Hausner. 1914-1995, Sigmaringen 1996, S.88).
“So taucht aus den Schächten der Introspektion das Weibliche auf als Lockung und Gefahr, als Gegenwelt der Ratio, als Bestandteil des Selbst und als sein Widersacher. In vielen Bildern vexiert es künftig zwischen Destruktion und Paradies, immer ist es präsent.” (Hans Holländer in: “Rudolf Hausner. Werkmonographie”, Offenbach 1985, S. 48)
Könnte man sagen, es sei derzeit vielleicht der perfekte Moment für die Art des Eskapismus, den die Phantasten bieten?
Timea Pinter: Durchaus! Ihre Kunst war zwar viele Jahre als „Kitsch“ verschrien, sie erfreut sich aber nun wieder mehr und mehr an Beachtung und Anerkennung.
Astrid Pfeiffer: Absolut! Bei den hier angebotenen Bildern der Fantasten denke ich, dass es sich um eine sehr gute Investition handelt. Diese Arbeiten haben Bestand und zeitlose Eleganz.
Timea Pinter: Die Kunst der Phantastischen Realisten bietet die Möglichkeit, aus unserer Welt für einen Moment zu entfliehen: Sie leitet ihre Betrachter in eine vermeintlich ideale, fantastische Welt.
Eine persönliche Frage: Wie wichtig ist Ihnen Fantasie?
Astrid Pfeiffer: Ich bin schon als Kind immer in Fantasiewelten abgedriftet – und noch immer liebe ich das Bilderbetrachten. Welche Welt steckt hinter der Arbeit? Welche Gedanken? Welche Emotionen? Die Wiener Phantasten schenken uns zu unserer Welt noch mannigfache weitere Welten. Zeitlose Welten, in die wir nach Lust und Laune reisen dürfen – wie wunderbar in einer Zeit, in der wir alle zu Hause bleiben müssen…
Timea Pinter: Die echte und reale Welt kann manchmal grausam und wenig fantasievoll sein. Die Fantasie lässt uns aus dieser Welt – wenn auch nur für einen Moment – entfliehen. Ich denke, das ist zu jeder Zeit, aber insbesondere in der heutigen, eine ansprechende „Ablenkung“.
Die Phantastischen Realisten, Interview: Alexandra Markl
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