Angeblich kann man in Japan den Sumoringern beim Training zusehen und nachher mit ihnen frühstücken.
Das wollte ich erleben. Natürlich hätte es mich stutzig machen sollen, als meine japanische Bekannte, darauf angesprochen, meinte, es wäre besser, dafür den Frühling zu wählen, aber da war der Flug bereits gebucht.
Tokio ist überwältigend. Moderne Glashausarchitektur und gigantische Wolkenkratzer neben kleinen verwinkelten Gassen. Auf den Straßen riecht es nach Reiskuchen. Überall uniformierte Grinser, die sich in genau festgelegten Winkeln verbeugen, arigato gozaimasu, sogar vor Rolltreppen – so als würden sie sich bedanken, dass man sich diesen Geräten anvertraut. Das Essen ist einzigartig: Gebackener Fischlaich, Krabbenembryonen, Lotoswurzeln, fermentierte Sojabohnen, Blätter, Algen, mit Ingwer gefüllte Fischköpfe und noch so allerlei, nur von den Sumoringern keine Spur.
Wann kann ich sie treffen? Es ist besser, Sie versuchen es in Kyoto.
Japan ist sauber. Nirgendwo Graffiti. Keine einzige Spur von Vandalismus, nicht einmal Klosprüche. Die öffentlichen Toiletten haben beheizte Klodeckel. Und erst die Züge! Die Triebfahrzeuge sehen aus wie Bobschlitten, halten punktgenau und bereits bei einer Verspätung von 15 Sekunden muss ein Bericht geschrieben werden – bei einer Minute erscheint eine Zeitungsmeldung, bei drei begeht der Lockführer Harakiri. In Kyoto tummeln sich absurd verkleidete Jugendliche. Manga-Festival!
Und die Ringer? Besser, Sie versuchen es in Kobe.
Die Menschen sind klein, dünn und ausgesprochen elegant. Wegen ihrer winzigen Nasen gleichen sie Fischen. Alle beten die Arbeit an. Selbst wenn ein Angehöriger stirbt, hat die Arbeit Vorrang. Auch eine Geburt sollte nach Geschäftsschluss passieren. Dass man vor dem Chef kommt, nach ihm geht und den Urlaub nicht in Anspruch nimmt, ist selbstverständlich. Kobe ist berühmt für seine mit Bier massierten Rinder, die den ganzen Tag Mozart hören. Ich lerne Herrn Takanake kennen, der mir helfen will. Beim Essen greift er versehentlich auf die heiße Tischplatte. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn, er beißt sich auf die Zunge, versucht aber, sich nichts anmerken zu lassen. Disziplin ist alles. Nur nicht das Gesicht verlieren. Den restlichen Abend kühlt er seine Hand auf der feuchten Serviette. Ich erfahre, der Meriken Hafen ist nach einer großen Liebesgeschichte zwischen Mary und Ken benannt – oder handelt es sich um schlecht verstandenes „American“?
Und die Ringer? Besser, Sie versuchen es in Hiroshima.
Wie alle anderen Städte hat auch das einst von der Atombombe verwüstete Hiroshima ein großes rotes Riesenrad. Ich lerne Frau Kagamura kennen, die aussieht wie eine Kaulquappe. Sie lädt mich auf die regionale Spezialität ein, Okonomijaki, eine Art Krautpalatschinke. Von den Ringern heißt es, sie sollen in Nagoya sein. Dort treffe ich Herrn Mitsura, der mich zu einem Baseballspiel einlädt. Es kommt vier Stunden lang zu keiner zählbaren Aktion, das Publikum ist trotzdem aus dem Häuschen, hält die Maskottchen der unterschiedlichen Hitter in die Höhe. Und die Ringer? Man schickt mich nach Kagoshima. Von dort geht es weiter nach Osaka, Atami und Sapporo, wo ich endlich begreife: Die Japaner sind wunderbar gastfreundliche Menschen, sie können nur eines nicht – nein sagen.
Und die Ringer? Sind gerade auf Promotion-Tour in Europa.
Dafür lerne ich auf dem Rückflug einen österreichischen Judoka kennen, und was der erzählt, ist viel spannender als alle Sumos, aber das ist eine andere Geschichte.
Franzobel ist ein österreichischer Schriftsteller. Er veröffentlichte zahlreiche Theaterstücke, Prosa und Lyrik. Seine Theaterstücke wurden unter anderem in Mexiko, Argentinien, Chile, Dänemark, Frankreich, Polen, Rumänien, der Ukraine, Italien, Russland und den USA gezeigt.
Sein großer historischer Abenteuerroman „Das Floß der Medusa“ (Zsolnay Verlag) wurde mit dem Bayerischen Buchpreis 2017 ausgezeichnet und stand auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2017.
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