DER PERFEKTE GAST ein Essay von Franzobel

Meine Frau, dieses wunderbare Wesen, bestellt nie, was auf der Speisekarte steht. Statt dem Kartoffelpüree will sie lieber Salat, beim Burger soll man die Pommes weglassen, dafür muss das Fleisch medium sein, auf der Quattro Stagioni dürfen statt der Pilze etwas mehr Artischocken liegen, an der Esterhazyschnitte stört die Zuckerglasur und der gespritzte Apfelsaft (die Apfelschorle) muss bitte ohne Kohlensäure kommen. Beim Asiaten verlangt sie selbst dann eine scharfe Sauce extra, wenn das Gericht mit drei Chilischoten markiert ist, und im Landgasthaus ordert sie die gemischte Knödelplatte mit Haschee- statt Speckknödel und ohne Sauerkraut. Praktisch keine Bestellung, die nicht irgendeine Zusatzanweisung erhält. Warum um Küchengottes Willen diese Extrawürste? Warum kann man nicht das bestellen, was auf der Karte steht? Geht es um Kontrollverlust? Darum, sich bei der Nahrung einen Rest an Eigenverantwortung zu erhalten?


Oder Susan Sontag: Die bekannte amerikanische Essayistin wollte, ich weiß das von einer für Lesereisenbetreuung zuständigen Verlagsfrau, immer ein anderes Hotelzimmer. Keine zwei Minuten nach dem Einchecken, heißt es, kam sie zurück zur Rezeption, beanstandete irgendwas und verlangte einen Zimmerwechsel. Immer! Auch das ist eine Form künstlicher Aufmerksamkeitsgenerierung.

Das Reizwort für alle Gastronomen lautet aber Nahrungsmittelunverträglichkeit. Unlängst hat mir ein Hotelier erzählt, ein Gast hätte ihn zwei Wochen lang mit Sonderwünschen gequält, in der Selleriesuppe dürfe kein Schlagobers sein,
in der Schnitzelpanier kein Ei, Weizenmehl sei ohnehin Gift und Milch von der Kuh etwas für Selbstmörder. Gut, Allergien sind eine ernste Angelegenheit. Der Mensch, immer stärkeren Umwelteinflüssen ausgesetzt, von künstlicher Supermarktnahrung belastet, von Schadstoffen und Elektrosmog umwölkt, wird dünnhäutiger und reagiert. Das Ergebnis einer ignorierten Unverträglichkeit kann scheußlich sein. Soweit so wahr, und der Hotelier und sein Koch haben sich auch die größte Mühe gegeben, alle Wünsche ihres Gastes zu erfüllen. Als dieser aber dann nach tagelanger pingeliger Herumfitzelei mirnichtsdirnichts zwei Portionen Salzburger Nockerl mit Vanillesauce verdrückte und sich gegenüber dem völlig perplexen Hotelier damit rechtfertigte, dass er einmal in der Woche durchaus sündigen dürfe, verstand der Gastronom die Welt nicht mehr.

Gäste werden, so sein Befund, immer schwieriger. Geschichten gäbe es da, damit könnte man Romane füllen.

Aber wer will so etwas lesen? Der Gast ist König, doch das bedeutet nicht, dass man sich wie ein Tyrann benehmen muss, Bademäntel, Silberbesteck und die Kunstdrucke von den Wänden als Eigentum betrachten darf. Auch ein Zertrümmern des Inventars, wie es bei Rockstars eine Weile lang Brauch gewesen ist, kommt nicht gut an.

Aus Sicht der meisten Hoteliers und Gastronomen genießt der perfekte Gast und lobt. Keine Extrawünsche soll er haben und keine Probleme machen, was manchmal soweit geht, dass man sich selbst als introvertierter Gast denkt: Nächstes Mal schicke ich nur das Geld und bleibe selbst zuhause. Der Massentourismus verstärkt die Entfremdung. Für den Touristiker werden die Gäste austauschbar, während bei Letzteren die Unverschämtheit zunimmt.

Nur wenn man sich mit Anstand, Respekt und Bescheidenheit begegnet, auch Verständnis für die andere Seite hat, wird das Reisen und Essen zu dem, was es sein soll, einem wunderbaren Erlebnis. Gibt es hie und da mal Extrawünsche, geht man gerne darauf ein, solange sie nicht die Regel sind. Aber sagen Sie das mal meiner Frau.

Franzobel ist ein österreichischer Schriftsteller. Er veröffentlichte zahlreiche Theaterstücke, Prosa und Lyrik. Seine Theaterstücke wurden unter anderem in Mexiko, Argentinien, Chile, Dänemark, Frankreich, Polen, Rumänien, der Ukraine, Italien, Russland und den USA gezeigt.

Sein großer historischer Abenteuerroman „Das Floß der Medusa“ (Zsolnay Verlag) wurde mit dem Bayerischen Buchpreis 2017 ausgezeichnet und stand auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2017