Steigende Meeresspiegel und versinkende Städte verlangen nach neuen Lösungen und Denkansätzen. In einer interdisziplinären Kooperation wurde der Prototyp Land on Water entwickelt. Er ermöglicht das nachhaltige, serielle Bauen auf dem Wasser.
Der Klimawandel lässt das Eis der Polarregionen immer schneller schmelzen. Klimaforscher prognostizierten jüngst einen globalen mittleren Anstieg des Meeresspiegels bis 2100 um mehr als einen Meter, wenn die Staaten dieser Welt weiterhin so viel Kohle, Öl und Gas wie bisher verbrennen. Aufgrund der Trägheit des Klimasystems werden die Pegel selbst nach einem Stopp der Emissionen für mehrere Jahrhunderte weiter ansteigen. Für küstennahe Gebiete heißt es schon in den kommenden Jahrzehnten: Land unter.
Immer mehr Stadtplaner rund um den Globus setzen auf die urbane Erschließung des Wassers, jenseits der vulnerablen Küstenregionen. Mit den Copenhagen Islands entsteht zur Zeit in der dänischen Hauptstadt ein Park auf schwimmenden Inseln, die der Hafenkante vorgelagert sind. Der Entwurf stammt vom australischen Architekten Marshall Blecher, der 2021 gemeinsam mit Magnus Maarbjerg in Kopenhagen das Maritime Architecture Studio (MAST) gegründet hat. Ihr Spezialgebiet ist das Bauen auf dem Wasser. Ihre Vision: „Wir arbeiten mit Wasser, um offene, innovative und nachhaltige Räume zu schaffen.“
Floating Cities 4.0
Nun haben sie ein neues modulares System für das Bauen auf dem Wasser präsentiert. Land on Water nennt sich das Pilotprojekt, das eine flexible und klimaresiliente Lösung für die urbane Erschließung von Gewässern verspricht. Initiator dieser Idee war der österreichische Baumagnat und Visionär Hubert Rhomberg, der zusammen mit Fragile, einem Concept- und Venture Studio, zuerst eine Holzlösung mit Kautschukbeschichtung entwickelt hatte.
Das System bietet eine nachhaltige und höchst flexible Lösung, um beinahe alles auf dem Wasser zu bauen.
MAST, Architekturbüro
„71 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt, dennoch versucht der Mensch weiterhin mehr Platz auf dem bedrohten Land zu beanspruchen. In Zeiten steigender Meeresspiegel müssen wir überdenken, wie und wo wir leben“, erklärt der Geschäftsführer der Rhomberg Holding die Überlegungen dahinter.
Die Architekten professionalisierten das System und bringen es nun in die nächste Phase. Statt aus Holz bestehen die Module aus verstärktem, recyceltem Kunststoff. Ihre flachen Komponenten lassen sich leicht transportieren und an jedem beliebigen Ort in unterschiedlichen Konfigurationen zusammensetzen, wie die Architekten erklären. „Das System bietet eine nachhaltige und höchst flexible Lösung, um beinahe alles auf dem Wasser zu bauen – von schwimmenden Häusern in Seattle bis hin zu Campingplätzen auf dem Wasser im Oslofjord.“
Ein nachhaltiges System für arm und reich
Die Strukturen sind kreislauffähig und autark gedacht. Im Vergleich zu bisherigen Systemen würden sie nur einen minimalen Ressourceneinsatz benötigen, erklärt Hubert Rhomberg. Die recycelten Floating Materials will man möglichst lokal sourcen. „Das heißt, die Module werden zentral gefertigt, flat-packed versendet, und vor Ort mit den auftreibenden Materialien befüllt. Dadurch wird der Transport effizienter, kostengünstiger und vor allem nachhaltiger“, ergänzt Lukas Kauer, Mitgründer von Fragile.
Der Clou liegt in der Einfachheit des Systems. Die Basisversion könne ohne große fachliche Kenntnisse und mit wenig Kapital zusammengestellt werden, sagt Rhomberg. „So kann es einerseits als DIY-Lösung in sehr armen Gegenden zum Einsatz kommen, andererseits lässt sich auch eine sehr hochwertige, luxuriöse Version davon umsetzen.“
Das System kann einerseits als DIY-Lösung in sehr armen Gegenden zum Einsatz kommen, andererseits lässt sich auch eine sehr hochwertige, luxuriöse Version davon umsetzen.
Hubert Rhomberg, Projektinitiator und Geschäftsführer der Rhomberg Holding
In beiden Fällen können damit lokale Communities und soziale Strukturen auf dem Wasser entstehen. So wie bei Rhombergs Holz-Hochhaus von der Stange, so spielt auch hier die Vernetzung eine wichtige Rolle. „Die Teile sind weltweit über eine Plattform verfügbar, auf der auch Knowhow und Best Practices geteilt werden.“
Ohne die Fehler der Vergangenheit
Die schwimmenden Siedlungen, die energetisch autark sind, können – ähnlich wie beim Gedankenmodell der Metabolisten – organisch wachsen und sich erneuern. Sie sollen eine Alternative zu den derzeit geplanten Großprojekten bieten, „die viele Fehler wiederholen, die Stadtplaner in der Mitte des 20. Jahrhunderts gemacht haben“, warnen die Architekten von MAST. „Derzeitige Lösungen basieren auf Polystyrol-gefüllten Betonfundamenten und Plastikschwimmkörpern, die schwer zu transportieren und höchst umweltschädlich sind.“
Während Stahl- und Betonfundamente üblicherweise mit giftigen Antifouling-Farben behandelt werden, bietet Land on Water einen idealen Lebensraum für Fische und Krustentiere sowie einen Andockplatz für Muscheln und Seegras.
Mast, Architekturbüro
Das kunststoffbasierte Modulsystem verspricht dagegen eine Unterwasserumgebung, die wesentlich umweltverträglicher ist als bisherige Systeme. „Während Stahl- und Betonfundamente üblicherweise mit giftigen Antifouling-Farben behandelt werden, bietet Land on water einen idealen Lebensraum für Fische und Krustentiere sowie einen Andockplatz für Muscheln und Seegras.“
Altes System neu entdeckt
Inspiration für das System lieferte die altertümliche Technik der Gabione. Dabei füllte man ursprünglich große Weidenkörbe mit Steinen und Erde, um Schutzwälle zu kreieren. Während die Hülle irgendwann verrottete, blieb die durchwurzelte Struktur über lange Zeit erhalten und schützte so vor Hochwasser und Überflutung.
Für die modularen Floating-Elemente hat man das Konzept einfach umgekehrt. Die Käfige werden mit upgecycelten Auftriebskörpern gefüllt, entsprechend dem Gewicht der Struktur, die sie tragen müssen. Dabei lässt sich das System flexibel adaptieren, indem Auftriebsmaterial hinzugefügt oder verlagert wird, um auf etwaige bauliche Veränderungen auf dem schwimmenden Fundament zu reagieren.
Die Projektinitiatoren sind derzeit auf der Suche nach Partnern, die gemeinsam innovative und nachhaltige Schwimmprojekte entwickeln wollen. Das Architekturbüro von MAST im Werftviertel von Kopenhagen umfasst eine eigene Werkshalle, in der Schiffsbauer und Ingenieure die kreativen Ideen der Architekten in die Praxis umsetzen. Ihre „Dyppezone“, ein portables Hafenbad aus Holz, dient den Kopenhagenern im Sommer als Kinderbecken, im Winter ankert es als Tauchbecken vor den Saunaanlagen am Hafenkai.
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: Kvant-1, MAST
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