Spektakuläre Star-Architekten-Bauten hat die nordspanische Weinregion La Rioja schon genug. Die Winzer der Bodegas LAN schlagen leisere Töne an. Ihr neuer Pavillon El Cortijo setzt die Landschaft theatralisch in Szene.
Aus den exakt angeordneten Zeilen der Weinberge, vor dem imposanten Panorama des Kantabrischen Gebirges, erhebt sich eine längliche Holzkonstruktion. Die aufgeständerte Bauweise und die länglichen Sichtfenster erinnern an einen Jägerhochstand. Doch mit der Jagd hat der hohe Holzpavillon nichts zu tun. Vielmehr ist El Cortijo, wie der Holzbau heißt, ein inszenierter Weinverkostungsraum. Eine Aussichtswarte über den nordspanischen Weinbergen. Oder, um es mit den Worten der Architekten zu sagen: Ein Hochtisch in der Landschaft.
Bei dem Weingut handelt es sich um die Viña Lanciano im bekannten Weinbaugebiet La Rioja. Aufgrund seiner besonderen Lage am Fuß des Kantabrischen Gebirges verfügt es über ein eigenes Mikroklima. Eingefasst von einer weiten Schlinge des Flusses Ebro sind die 72 Hektar des Weingutes rundum von Wasser umgeben. Auf diese Weise sind die Weinberge auf natürliche Weise vor Frost und extremer Sommerhitze geschützt.
Raumschaffung ohne Bodenverbrauch
Dass an einem so besonderen Ort nachhaltiger Weinbau betrieben wird, der sich den Kreislauf der Natur zum Vorbild nimmt, stand für die Winzer schon lange fest. Als es darum ging, einen neuen Erlebnisraum für ihre Kundinnen und Kunden zu schaffen, so stand auch hier der Nachhaltigkeitsanspruch an vorderster Stelle.
Es sollte ein Raum sein, der den Ursprung des Weines erlebbar macht, ohne dabei Boden zu versiegeln und die Landschaft dauerhaft zu verbauen. „Das Volumen erhebt sich aus der Landschaft und begibt sich in eine übergeordnete Position, von wo aus man die majestätische Landschaft überblickt, die von Bodegas LAN liebevoll gehegt und gepflegt wird“, heißt es in der Projektbeschreibung.
Der Baukörper ist eine subtil konstruierte Landschaftsintervention. Eine Maschine, die Erlebnisse generiert und Verbindungen zur Natur schafft.
J-AF Arquitectura und Studio Álvaro González Serrano
Entstanden ist das Projekt als Zusammenarbeit der Architektin Jennyfher Alvarado Figueroa von J-AF Arquitectura und dem Studio Álvaro González Serrano. In ihrem gemeinsamen Konzept beschreiben sie den Baukörper als „eine subtil konstruierte Landschaftsintervention. Eine Maschine, die Erlebnisse generiert und Verbindungen zur Natur schafft.“
Vorhang auf!
Der Aufgang von El Cortijo ist theatralisch inszeniert. Das Rot des Vorhangs, der sich leicht im Wind bauscht, leuchtet den Gästen schon von weitem entgegen. Aus der Nähe zeigt sich ein roter Teppich, der die Stufen zum hochgelegenen Verkostungsraum hinaufführt sich bis an dessen Ende zieht. Darauf steht ein Tisch mit 12 Sitzgelegenheiten.
Wie der sprichwörtliche rote Faden setzt sich das farbliche Stilement hier fort: Die Sichtöffnungen in den Wänden sind rot umrahmt, die Winkelverbinder der Konstruktion rot eingefärbt. Diese Betonung der verbindenden Elemente gibt einen Hinweis auf die Rückbaubarkeit der Konstruktion, die man von Anfang an mitgedacht hat.
Rückbaubares Design
Die Bauweise von diesem überdachten Tisch in der Landschaft ist an seinen temporären Charakter angepasst. Die Konstruktion in Holzrahmenbauweise besteht aus handelsüblichem Staffelholz, auf dem die Holzpaneele fassadenseitig in einen zweiten Rahmen eingespannt sind.
Es ist ein Volumen, das der Landschaft und ihren Elementen eine Ordnung verleiht.
J-AF Arquitectura und Studio Álvaro González Serrano
Auf diese Weise können 33 der 40 Paneele nach dem Rückbau wiederverwendet werden, da sie nicht verschraubt oder sonst in irgendeiner Weise beschädigt wurden.
Der Baukörper erzeuge laut Architekten-Team zwei unterschiedliche Situationen: eine menschliche und bewohnte Ebene in der Höhe mit einem Respektabstand zur natürlichen Ebene darunter. „Es ist ein Volumen, das der Landschaft und ihren Elementen eine Ordnung verleiht.“
In der nordspanischen Weinbauregion La Rioja haben sich bereits zahlreiche namhafte Architekten mit außergewöhnlichen Bauten verewigt. Vom dekonstruktivistischen Wurf Frank Gehrys für das Weingut Marqués de Riscal über Santiago Calatravas Wellendach für die Bodega Ysios bis hin zu Zaha Hadids futuristischer Stahl- und Glaskonstruktion für die Bodegas López de Heredia Viña Tondonia.
Auch wenn sich der temporäre Weinpavillon aus Holz nur begrenzt mit diesen Bauwerken vergleichen lässt, so liegt allen doch derselbe Wunsch zugrunde: den Wein um ein architektonisches Erlebnis zu erweitern. Im Fall von El Cortijo ist es ein Erlebnis, das nicht sich selbst feiert, sondern die Unmittelbarkeit von umgebender Natur und achtsam gepflegter Kulturlandschaft.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Josema Cutillas
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