Wer das Skifahren mit einem Architekturerlebnis verbinden will, ist am Schweizer Chäserrugg richtig. Eine Führung durch das preisgekrönte Gipfelgebäude von Herzog & de Meuron gibt Einblick in das nachhaltige Bauen auf 2.262 Meter.
Das Feuer knistert im freistehenden Cheminée, um das eine gemütliche Sofalandschaft in Naturtönen und einfache Holzhocker gruppiert sind. Wie in traditionellen Bauernhäusern bildet die Feuerstelle das zentrale und verbindende Element der Raumgestaltung. Durch die Schlichtheit der Einrichtung dominiert das naturbelassene Holz und der großzügige Raum an sich kann seine volle Wirkung entfalten. Vor den großformatigen Fenstern erstreckt sich das Panorama der Appenzeller Alpen. Dieses spektakuläre Gipfelgebäude steht seit 2015 auf dem Chäserrugg, dem östlichsten Gipfel des Bergmassivs der Churfirsten. Es zählt zu den spektakulärsten Holzbauten in der Schweiz sowie im gesamten Hochalpengebiet.
1.200 Transportfahrten mit der Seilbahn
Eine der großen Herausforderungen beim Bau dieses Gebäudes auf 2.262 Meter war die Logistik. Mit Ausnahme des Baukrans, der mit dem Hubschrauber angeliefert wurde, liefen alle Transporte über die Seilbahn. Insgesamt waren 1.200 Fahrten nötig, um das 3.600 Tonnen schwere Material anzuliefern – darunter 2.000 Kubikmeter Schweizer Fichten- und Tannenholz.
Die neue Bergstation ist ein reiner Holzbau auf einem Betonsockel. Er wurde von lokalen Handwerkern im Tal vorfabriziert und in einem Sommer auf dem Berg zusammengebaut.
Herzog & de Meuron, Architekturbüro
Um die lokale Bautradition fortzusetzen und die Transportwege kurz zu halten, hat man sich für den Holzbau entschieden und mit ortsansässigen Unternehmen wie Blumer Lehmann zusammengearbeitet. „Die neue Bergstation ist ein reiner Holzbau auf einem Betonsockel. Er wurde von lokalen Handwerkern im Tal vorfabriziert und in einem Sommer auf dem Berg zusammengebaut. Im darauffolgenden Winter wurde der Innenausbau fertiggestellt“, erklärt das Architekturbüro Herzog & de Meuron, das mit Planung und Bau der zeitgenössischen Berghütte beauftragt war.
Behagliches Gipfelloft
Das Restaurant präsentiert sich als langer, loftartiger Raum, der durch den repetitiven Rhythmus des Dachwerks geprägt ist. Die querverlaufenden Fichtenbalken sind tragendes Element und Ornament zugleich. Sie sorgen dafür, dass der Raum eine Überschaubarkeit behält und trotz seiner Größe Behaglichkeit ausstrahlt. „Das tief herunterreichende Dach auf eng gestellten Stützen ist das dominierende Element des Gebäudes mit vorgelagerter, gedeckter Terrasse“, heißt es in der Projektbeschreibung des internationalen Architekturbüros mit Sitz in Basel.
Das tief herunterreichende Dach auf eng gestellten Stützen ist das dominierende Element des Gebäudes mit vorgelagerter, gedeckter Terrasse.
Herzog & de Meuron, Architekturbüro
Der an drei Seiten verglaste Gastraum bietet großzügige Ausblicke in die imposante Bergkulisse ringsum. In den Nischen an der vierten Seite befinden sich Esstische mit umlaufenden Sitzbänken sowie je ein Fenster, das die private Aussicht ins Alpenpanorama rahmt. Das Gipfelgebäude wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Architekturpreis Hochparterre sowie mit dem Prix Lignum, der den innovativen und zukunftsweisenden Einsatz von Holz in Bauwerken, im Innenausbau, bei Möbeln und künstlerischen Arbeiten auszeichnet.
Ressourcenschonendes Bauen
Ein bedachtsamer Umgang mit Ressourcen stand während aller Bauphasen im Vordergrund. Für die Betonarbeiten wurde der angefallene Aushub aufbereitet und als Kieszuschlag weiter genutzt. Ein Ansatz, der nicht nur im hochalpinen Gelände seine Gültigkeit hat, sondern im Hinblick auf das klimafreundliche Bauen auch sonst erstrebenswert wäre.
Um den Fußabdruck des Bauwerks möglichst gering zu halten, steht es auf drei Streiffundamenten und greift so nur minimal in die Topografie des Berges ein. Diese und andere Fakten erfährt man während der architektonischen Führung durch das Gipfelgebäude, die als Gruppenevent gebucht werden kann.
Ein Skitag mit Architekturprogramm
Im Ostschweizer Skigebiet Toggenburg lassen sich mittlerweile mehrere Bauwerke von Herzog & de Meuron auf einer sportlichen Tour erkunden. Im selben Jahr, in dem das Gipfelgebäude eröffnete, ging auch die neue 10er-Gondelbahn Espel-Stöfeli-Chäserrugg in Betrieb.
Die Tal-, Mittel- und die Bergstation zeichnen sich durch besondere Schlichtheit und Zurückhaltung aus. In einer Art industriellen Scheunentypologie und bewusst ohne große Werbetafeln, wie sie sonst oft bei Liftanlagen anzutreffen sind, nimmt sich die Architektur zugunsten der Landschaft zurück.
Bei der Talstation der Stöfeli Bahn wurde 2017 der Espel Pavillon, ebenfalls nach den Plänen von Herzog & de Meuron, errichtet. Der schlichte, rechteckigen Holzbau nimmt die Sprache der benachbarten Scheunen und Ställe auf und fügt sich respektvoll in das Landschaftsbild ein. Die Holzfassade lässt eine Verbindung zum Gipfelgebäude Chäserrugg erkennen.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Katalin Deér/Prix Lignum 2018, Toggenburg Bergbahnen AG, Switzerland Tourism/André Meier
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