Anselm Kiefer, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler unserer Zeit, ist bekannt für seine monumentalen Werke, die Historie, Mythologie und Philosophie miteinander verweben. Seine Arbeiten sind vielschichtige Untersuchungen über menschliche Existenz, Erinnerung und das Gewicht der Geschichte. Um seine Kunst wirklich zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick auf seinen Arbeitsprozess und die Einflüsse zu werfen, die ihn geprägt haben.
Der Arbeitsprozess: Ein Dialog zwischen Material und Konzept
Kiefers Arbeitsprozess beginnt oft mit einer Idee, einem Text oder einem historischen Ereignis, das ihn fasziniert. Er zieht Inspiration aus Literatur, Religion und Geschichte, wobei Themen wie die deutsche Vergangenheit, die Kabbala oder die Mythologie immer wiederkehren.
1. Der Beginn: Material als Ausgangspunkt
Für Kiefer ist das Material zentral. Ob Blei, Asche, Erde, Pflanzen oder Beton – jedes Element trägt eine eigene Bedeutung und Geschichte in sich. Oft startet er ein Werk, indem er intuitiv Materialien auswählt, die ihn inspirieren. Die Textur, das Gewicht und die Transformation des Materials spielen dabei eine entscheidende Rolle.
2. Die Entwicklung: Schichten und Zerstörung
Kiefers Arbeitsweise ist geprägt von Schichtungen – sowohl im physischen als auch im metaphorischen Sinne. Er trägt Schicht um Schicht auf, kratzt wieder ab, zerstört Teile des Werks und baut sie neu auf. Dieser Prozess kann Jahre dauern. Für Kiefer ist das Werk ein lebendiger Organismus, der sich entwickelt und transformiert.
3. Ist ein Werk jemals fertig?
In Kiefers Augen ist ein Werk nie wirklich abgeschlossen. Oft kehrt er nach Jahren zu älteren Arbeiten zurück, um sie zu überarbeiten oder in einen neuen Kontext zu stellen. Diese Offenheit spiegelt seine Überzeugung wider, dass Kunst – wie das Leben selbst – ständig im Fluss ist.
Die Verbindung von Biographie und Arbeitsweise
Anselm Kiefer wurde 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, in Donaueschingen geboren. Die Trümmerlandschaften der Nachkriegszeit prägten seine frühe Wahrnehmung von Geschichte und Identität. Diese Eindrücke spiegeln sich in seinen Werken wider, die oft Themen wie Zerstörung, Wiederaufbau und die Last der Vergangenheit behandeln.
Kiefers Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte ist untrennbar mit seiner Kindheit und Jugend verbunden. Er begann seine künstlerische Laufbahn in den 1960er-Jahren, einer Zeit, in der Deutschland sich mit den Verbrechen des Nationalsozialismus konfrontieren musste. Seine frühen Arbeiten, wie die kontroversen Selbstporträts im NS-Salut (Occupations, 1969), zeigten bereits seine Bereitschaft, sich mit unbequemen Themen auseinanderzusetzen.
Hauptthemen und Motive: Die Kunst als Reflexion der Welt
Kiefers Werke sind geprägt von einem tiefen Interesse an Mythen, Geschichte und der Natur der Erinnerung. Zu seinen zentralen Themen gehören:
- Geschichte und Erinnerung: Kiefer setzt sich intensiv mit der deutschen Vergangenheit und der Frage auseinander, wie Geschichte erinnert und verarbeitet wird.
- Mythologie und Religion: Elemente aus der nordischen Mythologie, der jüdischen Kabbala und christlichen Symbolik durchziehen sein Werk.
- Natur und Vergänglichkeit: Materialien wie Erde, Pflanzen und Asche betonen die Vergänglichkeit des Lebens und die zyklische Natur der Existenz.
Einflüsse: Von Caspar David Friedrich bis Paul Celan
Kiefer lässt sich von einer Vielzahl von Künstlern, Dichtern und Denkern inspirieren:
- Caspar David Friedrich: Die melancholische Atmosphäre und die Beschäftigung mit der deutschen Landschaft in Friedrichs Werken haben Kiefer tief beeinflusst.
- Paul Celan: Die Gedichte Celans, insbesondere Todesfuge, sind zentrale Inspirationsquellen. Sie bieten Kiefer eine poetische Sprache, um die Schrecken des Holocaust zu verarbeiten.
- Joseph Beuys: Als Kiefers Lehrer prägte Beuys dessen Verständnis von Kunst als transformierende Kraft und dessen Experimentierfreude mit Materialien.
Ein unermüdlicher Suchender
Anselm Kiefers Arbeitsprozess ist so komplex wie die Themen, die er behandelt. Für ihn ist Kunst eine Form der Reflexion, ein Versuch, die Welt und ihre Widersprüche zu begreifen. Durch seinen einzigartigen Umgang mit Materialien, seine tiefgründigen Themen und seinen unerschütterlichen Blick auf die Vergangenheit bleibt Kiefer einer der einflussreichsten Künstler unserer Zeit – ein unermüdlicher Suchender, dessen Werke uns herausfordern, uns mit unserer eigenen Geschichte und Existenz auseinanderzusetzen.
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