Nono: Soil Temple -Verbindung schafft Leben 

Als Gründer eines Umweltdesignbüros schafft Yussef Agbo-Ola ganz besondere Objekte. Für die Sharjah Architecture Triennale hat er sogar Außergewöhnliches geschaffen: den Nono: Soil Temple, der alle Aspekte des Lebens vereint. 

Ein Tempel ist ein heiliges Haus. Und genau das macht ihn so besonders. Denn nichts ist so vielfältig und individuell wie die Heiligkeit an sich. Was jemandem im wahrsten Sinne des Wortes heilig ist, entscheidet man schließlich selbst. Wenn ein Tempel all die individuellen Bedürfnisse miteinander vereinen kann, dann darf man das Ergebnis wohl ohne Übertreibung als außergewöhnlich bezeichnen.

Yussef Agbo-Ola ist die Architektur heilig. Zumindest könnte dieser Eindruck erweckt werden, wenn man sich mit seiner Arbeit auseinandersetzt. Als Architekt, Künstler und Gründer des Olaniyi Studios lebt er sowohl in London als auch im Amazonas. Zwei Orte, die unterschiedlicher nicht sein können. Und vielleicht macht genau diese Unterschiedlichkeit den Kern der kreativen Ideen des Architekten aus.

gehäkelte Stoffteile als Wände
Gehäkelte Stoffteile ergänzen sich zu einem Ganzen und bilden die Wände des Tempels.

 Transformation

Für die Sharjah Architecture Triennale hat sich Yussef Agbo-Ola etwas ganz Besonderes ausgedacht. Einen Tempel der Vereinigung, den Nono: Soil Temple, der im Rahmen der Ausstellung auch als Jabala: 9 Ash Cleansing Temple benannt ist. „Ein Tempel, der als spirituelle Einheit konzipiert wurde, als heiliger Raum, der die heilende Kraft des Bodens anruft und sich auf seine Fähigkeit beruft, Leben zu transformieren, zu nähren und freizusetzen“, wie Agbo-Ola erklärt.

Mit dem Tempel hat der Architekt einen Ort geschaffen, der einiges zu bieten hat. Umgekehrt fordert er von seinen Besuchern ebenfalls gleich viel ein.

Das innere des Tempels
Das Herzstück des Tempels zeichnet etwas ganz besonderes aus…

„Wer den Boden betritt, soll ihn durch Singen, Tanzen und Beten energetisieren, dafür darf er sich vom Schoß der Erde auch bemuttern lassen“, so Yussef Agbo-Ola. Ein kraftvoller Austausch, ein Geben und Nehmen. Und wem es vielleicht schwerfällt, sich auf dieser energetischen Ebene zu bewegen, bekommt musikalische Unterstützung. Und zwar von sogenannten Soil lungs in iron ash. Ein Klangwerk, das dem Tempel eine Stimme verleiht. Yussef Agbo-Ola: „Die Klangarbeit basiert auf der Erforschung von Ritualen, Schamanismus und den Praktiken von Heilern, die neue und tiefere Verbindungen zu unseren ökologischen Umgebungen schaffen können“.

 Nahrhafter Boden

In der architektonischen Struktur des Bodens setzt sich die Idee des Architekten des Nono: Soil Temple fort: In ihr ruhen lebenswichtige Mineralien in organischer Substanz, während Milliarden von Bakterienzellen eine Rhizosphäre bilden, einen wurzelumgebenden Bereich. Diese Sphäre dient als Mikrogerüst für das Netzwerk elektrischer Signale, die zwischen Pflanze und Boden gesendet werden, um ein gesundes kollektives Pflanzenwachstum zu gewährleisten.

Ähnlich wie der fruchtbare Schoß einer Mutter ist der Boden der nährende Apparat der Erde für die Entwicklung des Lebens an Land. Die Verflechtung seiner Mikro- und Makrochemie bildet die Grundlage für die Funktion seiner Kinder: Menschen, Pflanzen und Tiere. Der Boden ermöglicht es den Pflanzen, die Luft zu produzieren, die wir atmen, und die Lebensmittel, die wir verzehren, aber er hat auch eine tiefe spirituelle Verbindung zu unserem Wohlbefinden.

Erdboden im Inneren des Tempels
… der Boden ist mit Muttererde ausgestattet. Die Besucher können sich wortwörtlich in die heilende Energie der Erde hineinbegeben.

Im innersten Teil des Tempels – man könnte auch sagen, in seinem Schoß – befindet sich ein mit Erde ausgekleideter Boden. Dessen heilende Eigenschaften haben den Entwurf inspiriert. Die Erde ist das Element, das alles verbindet. Eine Verbundenheit wird auch im Gerüst des Tempels ausgedrückt. Aus Jute-, Hanf- und Baumwollgarnen wurden Stoffteile gestrickt, die später zu einem großen Ganzen zusammengenäht das Gerüst des Tempels umhüllen.

Die zeltartige Struktur soll in Form und Farbe an den Berg Jebel Jais in Sharjahs Nachbaremirat Ras Al Khaimah erinnern. „Ich bin der festen Überzeugung, dass Berge die Mütter sind, die die Weisheit und die DNA einer Umgebung in sich tragen“, so Agbo-Ola. Der gehäkelte Stoff grenzt das Innere vom Äußeren ab, dabei ist die Grenze fließend. Die vielen Freiräume im Stoff bilden, je nach Lichteinfall, tanzende Muster. Jeder Blickwinkel eröffnet eine neue Perspektive.

„Wenn diese Organismen, die in den Strickwaren symbolisch dargestellt sind, im Nono: Soil Temple miteinander verbunden werden, schaffen sie ein neues visuelles Ökosystem als symbolische Form ihrer gegenseitigen Abhängigkeit für das ökologische Gleichgewicht“, Yussef Agbo-Ola.

Geschaffen um zu leben

Agbo-Ola zufolge wurde das Bauwerk auch entworfen, um die Fruchtbarkeit und den natürlichen Prozess der Transformation zu feiern. Nach der Ausstellung gelang es dem Architekten, den Tempel an den für ihn bestimmen Ort zu bringen – den Regenwald von Französisch-Guyana. Und es wirkt tatsächlich so, als hätte der Tempel entschieden dort, eingebettet in die Natur, zu Hause zu sein. Wer diesen natürlichen Tempel besucht, findet Kraft, Natur und Leben und wird Teil seiner spirituellen Rituale. Und das gilt für alle Lebewesen. Eine Besonderheit der gehäkelten Stoffteile ist nämlich, dass in den Zwischenräumen des miteinander verbunden Stoffes, Lebensraum entsteht. Vögel nutzen diese Räume gelegentlich für ihre Nester, aber auch allerhand andere tierische Bewohner des Regenwaldes finden in dem Tempel einen Ort zum Verweilen.

Der Tempel im Regenwald
Der Tempel, in dem für ihn bestimmten, natürlichen Raum – dem Regenwald Französisch-Guyanas.

„Der Nono: Soil Temple ist in dem Sinne konzipiert, dass jede Stoffhaut im Design aus der Perspektive des einzelnen Fadens betrachtet werden sollte, der sie zusammenhält“, so Yussef Agbo-Ola. „Der Verfall, der eintritt, wenn ein mikroskopisch kleiner Organismus die Fasern des Tempels frisst oder Eier darauf ablegt, ist genauso wichtig wie die Gesamtform und -gestalt des Tempels auf der Makroebene.“ Erst in der Natur wird der Tempel lebendig, mit ihr wird er vergänglich. Und so gibt der Tempel, das, was er genommen hat, wieder zurück.

Text: Eva Schroeder
Bilder: Olaniyi Studio