Das kürzlich eröffnete Simose Art Museum außerhalb von Hiroshima zeigt nicht nur Kunst und Design aus Japan, Gäste können auch in einer der ikonischen Villen von Star-Architekt Shigeru Ban übernachten.
Der fließende Raum ist in der traditionellen Architektur Japans tief verwurzelt. Während der Innenraum eines Hauses durch sogenannte Shōji – das sind mit Reispapier bespannte Schiebewände – lichtdurchlässig und wandelbar ist, stellt die typischerweise umlaufende Veranda aus Holz – Engawa genannt – eine Verbindung zwischen Innen- und Außenraum her. Der japanische Pritzker-Preisträger Shigeru Ban spielt in seiner Architektur seit jeher mit diesen tradierten Elementen. Er entwarf Kaufhäuser und Museen, deren Fassaden sich komplett öffnen lassen, baute Häuser und Kirchen aus Papier und hebelte damit gängige Vorstellungen von Bauweisen und Materialien immer wieder aus. So auch bei dem von ihm gestalteten Simose Art Museum, das kürzlich in der Präfektur Hiroshima eröffnet wurde.
Urlaubssparte Art Tourism
Dabei handelt es sich um eine ganze Destination, die Kunst, Architektur, Landschaft und Urlaub miteinander verbindet. Dieses verschränkte Konzept, das Kunst auf vielen Ebenen erlebbar macht und weit über den Besuch eines Museums hinausgeht, hat auf Japans Insel Naoshima seinen Ursprung.
Benesse Art Site Naoshima, das in Japans Seto-Binnenmeer liegt, entstand vor rund 30 Jahren als einzigartiges Projekt, bei dem Kunst, Natur und Mensch eine intensive Symbiose miteinander eingehen. Es war die Geburtsstunde des Art Tourism, einer mittlerweile sehr erfolgreichen Urlaubssparte.
Kunst in schwimmenden Galerien
Das Simose Art Museum, das im Frühjahr 2023 an der Küste des Seto-Binnenmeers seine Tore geöffnet hat, ist ein ähnliches Projekt, das unter der kreativen Leitung von Shigeru Ban entstanden ist. Der sozial engagierte Star-Architekt entwarf alle Gebäude der Anlage, darunter auch das erste Museum der Welt, das aus schwimmenden Galerien besteht. Die einzelnen Kuben sind über Brücken miteinander verbunden und bestehen aus unterschiedlich gefärbten Glaspaneelen. In der Nacht werden sie zu Leuchtkörpern, die blaue, gelbe, orange und rote Spiegelungen über die Wasseroberfläche werfen.
Diese acht Floßgalerien lassen sich aus ihrer Verankerung lösen und bei Bedarf neu positionieren, wodurch das Raumprogramm maximale Flexibilität bekommt. Die Inspiration dafür lieferten die Setouchi-Inseln, die zu Tausenden über das Binnenmeer verstreut sind. Das wandelbare Konzept mit seinen containerartigen Kubaturen erinnert außerdem an das wandernde Nomadic Museum, das der heute 66-Jährige Architekt im Jahr 2003 aus Frachtcontainern und Kartonsäulen entwarf.
Showcase von Shigeru Bans Architektur
Direkt im Anschluss an die Galerien befindet sich das Museumscafé, ein repräsentativer Holzbau mit durchgängiger Glasfassade, das zugleich den Eingangsbereich des Simose Art Museums markiert. Aufgefächerte Leimbinder bilden das Tragwerk des Daches und werden in baumähnlichen Säulen gebündelt. Anders als die bekannte Flechtstruktur des Haesley Nine Bridges Golf Club House sind es hier breite Holzlamellen, die einander überkreuzen und den Innenraum sowie einen Teil der Terrasse überspannen.
Das ganze Museum ist so etwas wie ein Showcase von Shigeru Bans bisherigem Schaffen und zeigt neben seinen selbst kreierten Bausystemen aus Holz und Papier auch eine Auswahl seiner ikonischen Wohnhäuser, die für das Museumsareal adaptiert und nachgebaut wurden. So etwa das Double Roof House aus dem Jahr 1993, das unterschiedliche Räume und Ebenen unter einem offenen Dach vereint. Das Furniture House, 1995 als Feriendomizil am Yamanaka-See erbaut, ist ebenfalls unter den zehn Villen der Museumsanlage vertreten wie das an drei Seiten öffenbare Wall-Less House und das experimentelle Paper House.
Wie wohnt es sich in so einem Haus?
Diese Frage kann man selbst beantworten, indem man sich in einem der Häuser einmietet. Die Villen sind Teil des Hotelkonzepts, das die Architektur Bans auf eine sehr persönliche Art erlebbar macht. Anstatt Räume lediglich zu besichtigen, können sie hier mit dem Lauf des Tageslichts ihre Wirkung entfalten und eine Wohnerfahrung liefern, die einzigartig ist.
Für den Architekten bietet das Konzept zudem die Möglichkeit, sein Schaffen in einer Art Case Study zu konservieren. Einige seiner Häuser, die in den 1990er-Jahren entstanden, wurden nämlich bereits wieder abgerissen. Speziell für das Museum konzipiert wurde das farbenfrohe Cross Wall House und die Waterfront Villas, die aus Kielstegelementen gebaut sind, einem in Österreich entwickelten Tragwerksystem aus Holz.
Ein Gesamtkunstwerk für die Kunst
Die Rezeption des Villen-Hotels bildet ein vergleichsweise recht rustikaler Holzbau, der außen mit Latten beplankt ist. Sein Rahmentragwerk im Inneren ist multifunktional und bildet an den Seitenwänden Regale aus. Das Restaurant, in dem französische Küche mit lokalen Zutaten serviert wird, wirkt mit seinem minimalen Interieur und dem spiegelglatten Boden sehr clean und aufgeräumt. So werden die Küstenlandschaft und die Fine-Dining-Kreationen zu den Hauptprotagonisten des Ortes.
Die enge Verknüpfung zwischen Innen- und Außenraum ist allen Bauwerken gemein und bildet den roten Faden, der sich durch das weitläufige Areal zieht. Die rund 500 Kunstwerke, die von Sammlerin Yumiko Shimose gestiftet wurden, bilden die Dauerausstellung des Museums. Anstatt einen passenden Container für die Kunst zu bauen, schuf Shigeru Ban ein Gesamtkunstwerk, das zum ganzheitlichen Erlebnis wird.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Simose Art Museum
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