Mit Angel Yard ist in Londons Norden eine erschwingliche Popup-Bürolocation für junge Freiberufler und Selbständige entstanden. Die Umnutzung des Geländes und der darauf befindlichen heruntergekommenen Garagen wurde von Jan Kattein Architects orchestriert.
Fun Fact: London verfügt gleich über zwei Stadtviertel, die den Begriff „Angel“, also Engel, in ihrem Namen tragen. Der bekanntere Ortsteil ist zweifellos Angel Islington im Norden. Er erstreckt sich von der Islington High Street bis zu Highbury Fields, um die Upper Street herum. Daneben gibt es den weniger bekannten Bruder: Sechs Meilen nordwestlich von Islington findet man sich in Angel Edmonton wieder, mit einem eigenen Bahnhof, Angel Road – und nun auch den Pop-up-Büros Angel Yard.
Beide Stadtgebiete haben ihre Bezeichnung – wie könnte es in London auch anders sein – von einem Pub „geerbt“. Im Fall von Angel Edmonton war die „Angel Tavern“ Namensgeberin. Allerdings existiert der einstige Treffpunkt, wo der Feierabend gemütlich in Gemeinschaft mit „i call it a day!“ beschlossen wurde, nicht mehr.
Während Angel Islington mit seinen Kunsthändlern, Sushi-Bars und Boho-Chic-Läden eher zum Szene-Einkaufsviertel mutiert ist, hat Angel Edmonton etwas ziemlich Bodenständiges. Hier findet man Wickes, Screwfix, Ikea, Tesco, …
Angel Yard: Nur ein Minimum an Bauarbeiten
Massiv aufgewertet wird das Quartier nun mit dem Projekt Angel Yard von Jan Kattein Architects. Eine Reihe halbverfallener Garagen wurde sorgfältig – mit nur einem Minimum an Bauarbeiten – adaptiert. Und so entstanden in Angel Edmonton ansprechende und großzügige Co-Working-Spaces und Büros für Start-ups und Jungunternehmer.
Die neuen Arbeitsplätze haben nicht nur ein erfrischendes Design: Der neue Büroraum ist auch äußerst erschwinglich. Damit wird eines der Hauptanliegen des Stadtrats erfüllt. Denn die Bewohner von Upper Edmonton gehören derzeit zu den einkommensschwächsten zehn Prozent in England.
Reuse und Refurbishment
Mit Unterstützung des „Good Growth Fund“ entstanden mit Angel Yard insgesamt 35 Arbeitsräume. Sie sind für Unternehmerinnen und Unternehmer im Alter von 18 bis 30 Jahren gedacht. Diese erhalten über die NGO „Launch It“ Schulungen und Unterstützung, damit sie ihre Geschäftsideen entwickeln können.
Die Entwürfe für Angel Yard verfolgen einen pragmatischen Ansatz ohne viel Schnick-Schnack. Reuse und Refurbishment stehen hier im Vordergrund. Denn das gesamte Areal in Upper Edmonton soll künftig neu erschlossen und belebt werden.
Nicht für die Ewigkeit
„Die Wiederverwendung der bestehenden Strukturen wird sich als Vorteil bei der schrittweisen Stadtteilerneuerung erweisen“, zeigt sich Gabriel Warshafsky, Leiter der Projektabteilung von Jan Kattein Architects, in Interviews überzeugt. Die Garagen-Büroräumlichkeiten dürften nicht für die Ewigkeit gebaut sein. Das erklärt auch die Dauer der Mietverträge: Sie wurden auf maximal fünf Jahre abgeschlossen.
Dies trage auch dazu bei, dass sich die neuen Arbeitsplätze unmittelbar in die umgebende Siedlung einfügen. Dabei haben die Architekten von Jan Kattein das Beste aus den vorhandenen Garagenstrukturen herausgeholt – und das unter Beachtung einer nachhaltigen Bauweise.
Für die Umnutzung der Garagen entschied sich das Team für weitgehend CO2-neutrale Materialien, die später wiederverwendet werden können. Die tonnengewölbten Decken sorgen für die nötige Raumhöhe. Sie wurden aus einem leichten Holzrahmen gefertigt, der mit gewellten Blechen aus verzinktem Stahl bedeckt ist. Dadurch wird die Gewichtsbelastung der bestehenden Wände, die über keine Fundamente verfügen, minimiert.
An den Außenwänden wurde eine neue Verkleidung angebracht, ebenfalls aus Holz. Außerdem wurde eine zusätzliche Isolierung angebracht, um den thermischen Wert zu erhöhen. Insgesamt konnten die neuen Arbeitsplätze rasch und kostengünstig errichtet werden.
Anstelle der alten Rollläden traten verglaste „Schaufensterfronten“, die zum Innenhof gerichtet sind. Im Rahmen des Projekts wurden auch fünf neue zweistöckige Ateliers errichtet. Die beiden Dächer verlaufen auf beiden Seiten parallel zueinander und bilden „interne Straßen“, die die Atelierreihen gliedern.
Geselliger Marktplatz in der Mitte
Zugänge, Wege und der dazwischen liegende Außenbereich sind mit Vordächern aus lichtdurchlässigem Polykarbonat geschützt. So entstand eine Art geselliger „Marktplatz“ in der Mitte. Er eignet sich gut für informelle Treffen und Arbeitsmeetings.
Der Eingang des Komplex wird durch ein deutlich größeres Tonnengewölbe markiert. Es grenzt an einen zusätzlichen Raum, der als Gemeinschaftszentrum dient. Dieses wird um die kürzlich renovierte, nahegelegene Bibliothek Fore Street Library ergänzt – der ideale Ort für kulturelle Events. Ein umgenutzter Doppeldeckerbus ist ebenfalls Teil des Projekts.
Des weiteren arbeiten die Architekten von Jan Kattein mit dem lokalen Studio Fisher Cheng zusammen, um eine Reihe von öffentlichen Kunstwerken zu schaffen. Sie sollen die neuen Einrichtungen noch besser mit dem umliegenden Viertel verbinden.
Von einer Terrasse der neu errichteten zweistöckigen Arbeitsplätze aus überblickt man die nördliche Zufahrt des Komplex. Diese „Schulstraße“ wurde gemeinsam mit der lokalen Grundschule entworfen, sie soll bei den Kindern die Fantasie anregen.
Spezialisierung auf die „Zwischenzeit“
Jan Kattein Architects hat sich auf temporäre Bauten spezialisiert, auf die Reaktivierung von aufgelassenen oder verfallenen Gebäuden aller Art, auf Standorte, die später einer Neunutzungen zugeführt werden. Wichtig ist dem Londoner Architekturbüro, dass das Projekt der örtlichen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit zugute kommt.
Gerade das Beispiel Garagen zeige, dass diese Art von Umnutzung und Sanierung von Wohnsiedlungen sich leicht auf Standorte im ganzen Land übertragen lasse, meint man. Speziell im Jahr 2023 konnte Jan Kattein Architects extrem viele Awards einheimsen, darunter den „Royal Fine Art Commission Building Beauty Award“, die jeweils ersten Preise für das „New London Architecture, Best Meanwhile Project“ und „Planning Award, Award for Fostering a Healthy Town Centre“ sowie „Building Design, Social Value Architect of the Year Award“ und „Civic Trust Awards“. Unter den Finalisten war Jan Kattein Architects außerdem für den „Pineapple Award, Activation Reuse“ zu finden.
Text: Linda Benkö
Fotos: Jan Kattein Architects
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