Anna Riess, Interview: Nina Prehofer, Photos: Maria Ritsch
In den Objekten der Künstlerin Anna Riess stecken viele Gedanken – über Natur und Nachhaltigkeit, die folgen unserer Anwesenheit für den Planeten, die Rolle der frau und nicht zuletzt über menschliche Verletzlichkeit, Fragilität und Vergänglichkeit – und begleiten sie in ihrer Arbeit mit Keramik, Metall und textil.
Woran denkst du, wenn du an einem neuen Objekt arbeitest?
Anna Riess: Jeder Prozess ist unterschiedlich. Ich bin immer in einer anderen Stimmung, wenn ich in mein Atelier gehe. Wenn ich an einem Auftrag arbeite, muss ich mich an genaue Vorgaben halten, sehr ergebnisorientiert und konzentriert. Die Vorbereitungen bestimmen das Ergebnis. Das Porzellan braucht die richtige Konsistenz, um dann in Formen gegossen zu werden. Ich brauche mehrere Stunden Zeit und muss mich ausgeruht fühlen. Beim Arbeiten mit Ton habe ich nicht das Gefühl, dass ich denke, sondern meine Hände handeln, bis ich zufrieden bin. Es ist eine Suche, auf die sich meine Hände begeben. Beim Schmuck ist es meistens eine Form oder Funktion, die mich zuvor begleitet hat und die ich dann im Studio auf das Silberblech aufzeichne. Die Säge führe ich an diesen Linien entlang, lasse mir aber immer noch den Freiraum, diese spontan anders zu führen. Also eher ein prozessorientierter Zugang, wo ich oft noch im Moment entscheide und optimiere. Die ausgesägte Spur hinterlässt eine neue Form, mit der ich weiterarbeite. Oft ergänze ich den Ohrschmuck mit einer natürlich gewachsenen Keshi-Perle.
Gibt es einen Gedanken, der dich bei deiner Arbeit immer begleitet?
Anna Riess: Ich habe sehr viele Ideen und wenn ich an dem Punkt bin, diese umzusetzen, bin ich weniger im Denken als im Formen, Ton angeben, Silber sägen, feilen, bohren oder löten. Aber wahrscheinlich nehme ich den Begriff „Arbeit“ nur im Bezug auf das Tun wahr. Eigentlich kann ich meine Arbeit nicht klar von meinen Gedanken trennen. Was mich schon begleitet, ist der Drang den weiblichen Körper in den Fokus zu stellen, da dieser gesellschaftlich zu wenig Raum bekommt. Die Rolle der Frau und ihre Anforderung in allen Facetten zu thematisieren, ist mir ein Bedürfnis. Menschliche Verletzlichkeit, Fragilität, Vergänglichkeit sind Gedanken, die mich
Was beschäftigt dich als Künstlerin, wenn du an die Gesellschaft und die Umwelt, die Menschheit und die Natur denkst?
Anna Riess: Die bereits angesprochene Fragilität und Vergänglichkeit sehe ich in direktem Verhältnis zu meinem Körper. Meine Anwesenheit auf diesem Planeten ist nicht von großer Dauer. Erst kürzlich lief ich mit einem Müllsack durch Venedig, über den sich zuvor Möwen hergemacht hatten, und versuchte, diesen loszuwerden. Jedoch können wir Menschen unseren Müll nicht loswerden. Er kann sich nicht auflösen. Stattdessen braucht es eine globale Lösung für den Umgang mit Plastik und unserem CO2 Ausstoß. Die Pandemie hat bewiesen, dass wir umdenken können. Wir sind nur leider so weit, dass wir eine Pandemie brauchen, um umzudenken. Es schmerzt mich körperlich Tiere an Plastik verenden zu sehen, wissend, dass wir Menschen die Verantwortung dafür tragen. Es geht mir nicht um Schuld, sondern um Gesetze, die den Klimaschutz als oberste Priorität verabschieden und mit denen große Konzerne in die Verantwortung genommen werden.
Was ist dir bei der Herstellung wichtig?
Anna Riess: Ich arbeite mit Ton, Metall und Textil. Die Materialien, die ich verwende, kommen alle aus der Natur. Mir ist wichtig, dass ich keine Stoffe verwende, die das Ökosystem belasten würden. Außerdem tätige ich alle Transporte, die nicht per Fahrrad möglich sind, mit einem elektrischen Mietauto. Meinen Brennofen habe ich gebraucht gekauft und ich versuche, diesen bei den Bränden immer so voll wie möglich zu machen. Bei der Herstellung ist mir außerdem wichtig, autark zu sein. So kann ich meinen Abnehmer:innen größtmögliche Transparenz bieten.
Welche Materialien interessieren dich und warum?
Anna Riess: Ich mag den Kontrast von Keramik und Metall. Das Arbeiten mit weicher Erde hat etwas sehr Archaisches und Uriges. So auch das Bearbeiten von zuerst hartem Metall, das im Prozess des Hämmerns und Lötens verformbar ist, unterschiedliche Temperaturen durchläuft. Spannend finde ich die Frage: Was kann das Material und was kann ich? Ein Dialog mit dem Material lässt oft Raum für ungeplante Überraschungen. Oft verwende ich Perlen, die natürlich und nicht perfekt gewachsen sind. Hierbei liegt der Reiz in der Unvollkommenheit und dem Schimmer, der unerreichbaren Perfektion. Hinzukommen Busenobjekte aus Bio-Baumwolle, die mit Lavendel und Cellulose gefüllt sind. Die stelle ich gerne her, weil sie Trost spenden oder, durch den Lavendel als Füllung, eine beruhigende Wirkung haben. Mir ist der Wechsel wichtig, dass die Lust am Schaffen bleibt. Je nach Idee und Konzept eines Projekts arbeite ich mit einem dieser drei Materialien. Neuerdings arbeite ich auch mit Porzellan, wobei sich wieder neue Möglichkeiten in der Herstellung auftun.
Was fehlt in unserer Welt? Was würde sie besser machen?
Anna Riess: Zeit, um sich auszuprobieren, um scheitern zu dürfen. Weniger patriarchale Strukturen. Ethikunterricht an Schulen. Weniger JetSet – mehr Urlaub am Bauernhof. Grünflächen in Städten, statt Versiegelung der Erde. Mehr Zeit an der Hofer-Kassa. Yoga an Schulen für Lehrer:innen und Schüler:innen. Empathie.
ANNA RIESS
lebt und arbeitet als Künstlerin in Wien. Alle ihre Kreationen entstehen in ihrem kleinen Atelier in der Nähe des berühmten Vergnügungsparks „Prater“ und der Donau. Nach einem kurzen Architekturstudium, gefolgt von einem Master in Kulturanthropologie im Jahr 2012, konzentrierte sich Anna auf ihre wahre Freude: das Gestalten mit den Händen. Durch einen dreijährigen Kurs in zeitgenössischem Schmuckdesign lernte Anna, Gesellschaftskritik zu üben und auszudrücken, indem sie Objekte in enger Beziehung zum menschlichen Körper formte.
Photo: Maria Ritsch
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