Noch bis zum 7. Jänner 2024 zeigt das mumok in Wien die erste umfassende Retrospektive der Künstlerin Elisabeth Wild.
Die turbulente Biografie von Elisabeth Wild (geb. Pollak, * 1922 in Wien, † 2020 in Panajachel, Guatemala) wirkt wie ein Spiegelbild des 20. Jahrhunderts: Geprägt von Flucht und Vertreibung, nationaler Identifikation und Nicht-Identifikation, glich ihr Leben einem steten Neuanfang. Dies zeigt sich nicht zuletzt in ihrem medial äußerst divers angelegten Œuvre, das Malerei, Skulptur und Textilentwürfe ebenso umfasst wie ihre weitaus bekannteren Collagen und die daraus resultierenden Installationen. 2023 widmet ihr das mumok nun die erste umfassende Retrospektive, die neben ihrem Spätwerk auch ihr unbekanntes Frühwerk in den Fokus rücken wird.
Elisabeth Wilds Geschichte nimmt ihren Ausgangspunkt in Wien. Als Kind einer katholischen Mutter und eines jüdischen Vaters wird sie nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Regime 1938 zur Emigration nach Argentinien gezwungen, wo sie ihren Lebensunterhalt als Textildesignerin bestreitet und ihren späteren Mann, August Wild, kennenlernt. Schon 1962 muss sie angesichts des rechtsradikalen Klimas in Buenos Aires erneut übersiedeln – diesmal nach Basel, wo sie über drei Jahrzehnte einen Antiquitätenladen führt. 1996 zieht sie schließlich mit ihrer Tochter, der Künstlerin Vivian Suter, nach Guatemala, wo sie bis zu ihrem Tod 2020 lebt und arbeitet.
Über Wilds künstlerische Ausbildung ist nur wenig bekannt. Sie studierte Malerei an der Academia Nacional de Bellas Artes in Buenos Aires. Ihre traditionelle Ausbildung zeigt sich insbesondere in ihren frühen Arbeiten, denn Wild lässt kaum ein klassisches Genre der Malerei aus. So finden sich in ihrem Nachlass neben Textilentwürfen und Skizzen zahlreiche Landschaftsmalereien, Stillleben, Akte und Frauenporträts. Mit den Jahren entfernt sich Wild jedoch zunehmend von ihrer figurativen Praxis. Surrealistisch anmutende Elemente mehren sich, die Arbeiten werden kleiner, intimer, fragmentierter, in ihrer atmosphärischen Auffassung träumerischer und fiktiver. Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts konzentriert sich Wild ausschließlich auf das Medium der Collage. Ein medialer Bruch, der ihr auf der von Adam Szymczyk kuratierten documenta 14 schließlich die lang ersehnte künstlerische Anerkennung bringt. Wild ist zu diesem Zeitpunkt bereits 95 Jahre alt.
Mit der Präsentation ihrer ersten großen Ausstellung in Wien kehrt ihre Geschichte nun an ihren Ausgangspunkt zurück. Im Zentrum der Schau steht Wilds künstlerische Entwicklung, die einem Ritt durch die Kunstgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts gleicht. Auf zwei Ausstellungsebenen werden Früh- und Spätwerk einander gegenübergestellt. Obwohl die beiden Schaffensperioden auf den ersten Blick konträr anmuten – man könnte meinen, sie stammten nicht von gleicher Hand –, offenbaren sich bei näherer Betrachtung Verwandtschaften, die frühe Interessen der Künstlerin erkennen lassen: Architektur– und Naturfragmente lassen sich in den späten collagierten Arbeiten ebenso ausfindig machen wie maskenhafte Züge oder geometrische Muster. Die Collagen vereinen somit Wilds frühe Landschafts- malereien, Porträts und Textilmuster in rein abstrahierter Form.
Elisabeth Wild kreiert in ihren Collagen kaleidoskopische Welten, die sie selbst als „Fantasías“ bezeichnet. Dabei geht sie wie eine Sammlerin vor und trägt Elemente irdischen Glamours aus populären Lifestyle- und Hochglanzmagazinen zusammen. Einer Antiquitätenhändlerin gleich, sucht sie nach den perfekten Komponenten und fügt diese geduldig in den ungewöhnlichsten Konstellationen zusammen. Das Ergebnis sind farbintensive Collagen im DIN-A4-Format, die an kosmische Visionen und imaginäre Traumwelten erinnern.
Von den frühen 2000er-Jahren an bis zu ihrem Tod entwarf sie täglich – einem Tagebucheintrag vergleichbar – eine Collage. Fühlte sie sich dafür an einem Tag zu schwach, entstanden am folgenden gleich zwei. Dieses Vorgehen inspirierte auch den Ausstellungstitel der Schau: Elisabeth Wild. Fantasiefabrik. Der Titel referenziert zum einen auf den von ihr geprägten Begriff der „Fantasías“, zum anderen auf ihre tägliche Routine, die an Produktionsprozesse wie in einer Fabrik denken lässt. In diesem Sinne werden 365 Collagen sinnbildlich für den Verlauf eines ganzen Jahres ausgestellt.
Elisabeth Wild. Fantasiefabrik trägt auch in der Konzeption die Handschrift der Künstlerin: Alle ausgestellten Arbeiten wurden von Wild in Zusammenarbeit mit der Kuratorin Anfang 2020 in Guatemala ausgewählt. Die Ausstellung ist damit nicht nur die erste umfassende Retrospektive Wilds, sondern ebenso die letzte von ihr gestaltete.
Kuratiert von Marianne Dobner Ausstellungsarchitektur: Meyer-Grohbruegge Produktion der Ausstellungsarchitektur: papplab GmbH
Katalog zur Ausstellung
Elisabeth Wild. Fantasiefabrik
Getrennte Sprachausgaben, 288 Seiten, 24 x 32 cm, Hardcover, Leineneinband, zahlreiche farbige und ganzseitige Abbildungen von Wilds Collagen in Originalgröße Hrsg. von Marianne Dobner, mumok
Texte von Marianne Dobner, Manuela Ammer, Hendrik Folkerts, Adam Szymczyk, Gespräch zwischen Jeanette Pacher und Vivian Suter
Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König
ISBN 978-3-7533-0451-9
ISBN 978-3-903446-07-6 (mumok)
Photocredits: Estate of Elisabeth Wild
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