Der Metropol Parasol bescherte einer totgeglaubten Plaza in Sevilla ein sagenhaftes Reboot. Der ikonische Holzbau von J. Mayer H. ist ein Paradebeispiel für eine gelungene Intervention im öffentlichen Raum.
Rund 30 Jahre lang war die Plaza de la Encarnación ein Schandfleck im Herzen der andalusischen Hauptstadt Sevilla. An Stelle der baufälligen Markthalle aus dem Jahr 1842 sollte in den Achtzigerjahren ein Riesenkomplex mit Büros und Garagen gebaut werden. Für Marktstände wollte man auf dem gewinnbringenden Grundstück in der historischen Altstadt keinen Platz mehr finden. Eine Stadtplanung, die die Bevölkerung auf die Barrikaden trieb.
Vom Parkplatz zum neuen Wahrzeichen
Als allerdings bei den Fundamentarbeiten die Überreste einer Römersiedlung zutage traten, war das umstrittene Megaprojekt Geschichte. Über viele Jahre musste das Grundstück ein Parkplatz-Dasein fristen, bis die Stadtregierung 2004 schließlich einen internationalen Architekturwettbewerb ausschrieb. Diesmal wollte man alles richtig machen. Auf dem geschichtsträchtigen Platz sollte eine moderne Markthalle entstehen, die den Bewohnern als neues Stadtmobiliar dient, und das Viertel um eine Attraktion bereichert.
Sieben Jahre und 95 Millionen Euro später hatte die Stadt Sevilla ihr neues Wahrzeichen, den Metropol Parasol. Das Berliner Architekturbüro von J. Mayer H. und Partner schuf damit einen zukunftsweisenden Bau, der zu den größten Holzstrukturen der Welt zählt. Das geschwungene Dach umfasst eine Fläche von 5.000 Quadratmetern und bietet auf einem 400 Meter langen Skywalk Ausblicke über die ganze Stadt.
Belebung für die ganze Stadt
Das organische Gebilde mit der Waffelstruktur wirkt inmitten der zahlreichen Weltkulturerbestätten wie aus einer anderen Welt. Doch die Sevillaner haben das eigenwillige Bauwerk ihrem Lebensraum einverleibt, aller Polemiken und Kontroversen zum Trotz. Las Setas (die Pilze), wie die Bewohner dazu sagen, haben es geschafft, einen totgeglaubten Platz wieder zum Leben zu erwecken.
Die Schirme sind Ausdruck einer einzigartigen Beziehung zwischen der historischen Stadt und der Stadt von heute.
J. Mayer H. und Partner, Architekturbüro
Und mehr als das: Laut dem Architekturbüro von J.Mayer.H hat sich die Neugestaltung des Platzes nicht nur positiv auf das direkte Umfeld ausgewirkt, sie hat auch zu einer Belebung der ganzen Stadt geführt. Soeben wurden unter den Pilzen die Meisterschaften des Pádel ausgetragen, einer hispanischen Tennisvariante.
Und in der Semana Santa (Karwoche), wenn die Nazarenos ihre schweren Kreuze bis zur Plaza de la Encarnación tragen, hat man sich mittlerweile an die kontrastreiche Kulisse gewöhnt. Der Spagat zwischen römisch-katholischem Passionsspektakel und futuristischem Baldachin geht sich offenbar aus.
Vorreiter der parametrischen Architektur
Auch wirtschaftlich gesehen hat sich die Investition in die Architektur gelohnt. Das Geschäft in den Läden floriert, die Bars und Cafés sind immer gut besucht. Das Bauwerk hat den Stadtraum neu inszeniert und damit ungeahnte Möglichkeiten aufgetan. „Metropol Parasol hat die Eigenheiten des Ortes aufgegriffen und neu interpretiert“, erklärt Andre Santer, Projektleiter und Partner bei J. Mayer H. „Damit wurden vielfältig vernetzte öffentliche Räume geschaffen, die durch ihre Prägnanz und Offenheit gesellschaftliche Potentiale aktivieren und die Stadtlandschaft in Bewegung setzen konnten.“
Damit wurden vielfältig vernetzte öffentliche Räume geschaffen, die durch ihre Prägnanz und Offenheit gesellschaftliche Potentiale aktivieren und die Stadtlandschaft in Bewegung setzten konnten.
Andre Santer, Projektleiter und Partner bei J. Mayer H.
Metropol Parasol gilt als einer der Vorreiter parametrischer Architektur im öffentlichen Raum. Die algorithmischen Prozesse, die zur Formgebung beigetragen haben, ermöglichen eine neue räumliche Sprache und läuten das digitale Zeitalter in der Architektur ein. Die 150 Meter lange und an die 30 Meter hohe Skulptur ist damit auch ein Sinnbild für die moderne Informationsgesellschaft.
Preisgekrönter Holzbau
Auch wenn die Auswahl des Baumaterials damals recht pragmatisch erfolgte, so ist der gigantische Holzbau dennoch richtungsweisend. Die sechs nach oben hin zusammenwachsenden Pilze bestehen aus rund 3.000 Kubikmetern finnischer Fichte.
Die einzelnen Bauteile wurden wie ein dreidimensionales Puzzle mithilfe von Stahlverbindungen zusammengesetzt. Um die Struktur vor Witterung zu schützen und ein einheitliches Gesamtbild zu schaffen, überzog man die Teile mit einer Schicht aus Polyurethan.
Für ihr Design erhielten die Architekten den Red Dot Design Award in der Kategorie Best of the best 2012. Das Bauwerk schaffte es auch auf die Shortlist des Mies van der Rohe Awards. Das bunte Leben, das sich heute unter, in und über den Pilzen abspielt, beweist, dass es sich hierbei um ein Stück Architektur handelt, das für die Menschen gemacht ist.
Unter dem karierten Dach verkaufen die Bauern an Markttagen ihr Gemüse, während Touristen und Tapas-Schlemmer die Treppen nach oben erklimmen. Und die archäologischen Funde, die zur Neugestaltung des Platzes führten, können in einem eigenen Museum unter der Plaza besichtigt werden.
Metropol Parasol schafft laut dem Architekturbüro von J. Mayer H. eine Brücke zwischen gestern und heute: „Die Schirme wachsen aus der archäologischen Ausgrabungsstätte in eine zeitgemäße Landmark und sind Ausdruck einer einzigartigen Beziehung zwischen der historischen Stadt und der Stadt von heute.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: nikkolrot fotografie for Holcim Foundation
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